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Archiv-Artikel

Blair hielt sich für berechtigt, alle Bedenken zu ignorieren

IRAKKRIEG Der britische Expremier Tony Blair tritt erneut vor dem Irak-Untersuchungsausschuss auf

VON RALF SOTSCHECK

DUBLIN taz | Der frühere britische Premierminister Tony Blair hat seine Entscheidung zur britischen Beteiligung am Irakkrieg auch ohne eine entsprechende Resolution der Vereinten Nationen erneut verteidigt. Vor dem von seinem Nachfolger Gordon Brown im Juni 2009 eingesetzten Ausschuss sagte Blair am Freitag, er habe seinerzeit die Einschätzung seines Generalstaatsanwalts Peter Goldsmith, der eine UN-Resolution vor dem Einmarsch im Irak als notwendig erachtete, lediglich für vorläufig gehalten. Er sei berechtigt gewesen, Goldsmiths Rat zu ignorieren, und er sei nicht verpflichtet gewesen, den damaligen US-Präsidenten George W. Bush über die internen britischen Diskussionen zu informieren.

Blair hatte sich durch einen Hintereingang in das streng bewachte Kongresszentrum in London begeben, um den Demonstranten zu entgehen, die ihn vor dem Haupteingang auf Plakaten als Lügner und Kriegsverbrecher bezeichneten.

Es war das zweite Mal, dass Blair vor den Ausschuss zitiert wurde. Bereits vor einem Jahr hatte Blair seine Kriegsentscheidung vehement verteidigt. Doch seitdem sind Widersprüche aufgetaucht. Der damalige Generalstaatsanwalt Peter Goldsmith erklärte in einer schriftlichen Aussage, die Anfang der Woche veröffentlicht wurde, dass er von den Diskussionen ausgeschlossen wurde, nachdem er auf die Notwendigkeit einer UN-Resolution hingewiesen hatte. Er fügte hinzu, dass Blair im Unrecht gewesen sei, als er dem Unterhaus im Januar 2003 erklärte, eine UN-Resolution sei nicht nötig, wenn ein Land – gemeint war Frankreich – ein „unsinniges Veto“ einlegen würde.

Noch am 30. Januar 2003 warnte Goldsmith in einem als geheim markierten Brief, dass eine Invasion des Irak illegal sei. Blairs außenpolitischer Berater David Manning notierte auf dem Brief: „Klarer Hinweis des Generalstaatsanwalts auf die Notwendigkeit einer UN-Resolution“. Blair schrieb darunter: „Ich verstehe das einfach nicht.“ Am nächsten Tag flog er nach Washington und sicherte Bush Unterstützung bei einem Krieg zu. Der Briefwechsel zwischen Blair und Bush, in dem der britische Premier bereits 2002 bedingungslose Gefolgschaft versprach, darf auf Blairs Wunsch nicht veröffentlicht werden.

Blair sagte gestern, er habe geglaubt, Goldsmith würde sich besinnen und der Einschätzung der Regierung folgen, wenn er die Hintergründe kennen würde. Tatsächlich schrieb Goldsmith im März 2003, dass es eine „rechtliche Basis für eine Invasion des Irak ohne weitere UN-Resolution“ gebe. Blairs wichtigstes Argument für eine Invasion des Irak war damals das Regierungsdossier, das dem Irak den Besitz von Massenvernichtungswaffen vorwarf, die binnen 45 Minuten einsatzfähig sein könnten. Das Dossier bestand in weiten Teilen aus einem akademischen Papier, das die Regierung geplündert hatte, ohne den Urheber zu nennen. Voriges Jahr hatte Blair noch erklärt, er bereue gar nichts. Das korrigierte er jetzt: Er bereue durchaus die Verluste an Menschenleben. Von der Zuschauertribüne rief jemand daraufhin: „Zu spät!“