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Archiv-Artikel

Von Anfang an ergreift die Kamera Partei

Vom Befreiungskampf zum Bürgerkrieg: Seinen neuen Film „The Wind that Shakes the Barley“ siedelt Ken Loach im Irland der 20er-Jahre an. Am besten ist der Film, wenn er sich weit von Ideologien und Thesen entfernt – wenn Männer frieren, Nasen tropfen und Dauerregen die grünen Hügel tränkt

von BIRGIT GLOMBITZA

Er ist inzwischen 70 Jahre alt und muss schon lange niemandem mehr etwas beweisen. Ken Loach stand immer auf der richtigen Seite, stellte die richtigen Fragen. Fragen danach, wie Gewalt funktioniert, die Gewalt kaputter Väter und zerrütteter Familien, die Gewalt der Armut, der Arbeitslosigkeit, der Rationalisierung, der Globalisierung. Filme wie „Poor Cow“ (1968), das eindringliche Porträt einer Häftlingsfrau, und vor allem „Kes“ (1970), mit dem Ken Loach international auf sich aufmerksam machte, funktionieren noch immer. Es sind Lehrstücke über die gute Absicht, die an den unüberwindbaren Gemeinheiten der Verhältnisse zerschellt. Filme, die mit der Verve und der Wut des frühen Arbeiterkinos daherkommen, ohne dass man sich peinlich berührt abwenden möchte. Das vertrackte „System“ ist heute noch das alte, die Verhältnisse mögen zwar komplexer geworden sein, doch ihre Effekte lassen sich noch immer im kleinen, grauen Leben ausfindig machen.

Inzwischen hat der britische Regisseur etliche Filmpreise in Empfang genommen, zuletzt die Goldene Palme in Cannes für „The Wind that Shakes the Barley“. Eine Auszeichnung, die, so viel Spekulation muss erlaubt sein, vielleicht doch mehr seinem Lebenswerk gelten mag als seiner jüngsten Produktion. Denn ausgerechnet sein letzter Film gehört zu jener Untergruppe in Loachs Werk, die all jene Kritik befeuert, die den Regisseur immer schon in Verdacht hatte, ein unverbesserlicher Sozialromantiker und altkommunistischer Populist zu sein. Oder, am allerschlimmsten, ein kunstgewerblicher Historienmaler.

Und tatsächlich hat „The Wind that Shakes the Barley“ (Der Wind, der über die Gerstenfelder streift) – der Titel verweist auf ein irisches Befreiungslied, das längst zum Fundus des Folk gehört – viel mit Loachs emphatischem Geschichtsdrama über den Spanischen Bürgerkrieg, „Land and Freedom“ (1995) gemein. Damals wie heute handelt er sich dabei das Problem ein, uns aus historischen Kulissen etwas über die Gegenwart erzählen zu wollen. Dabei steht Loach doch viel zu gerne seinen Protagonisten in ihren Unterdrückungsgeschichten und Unabhängigkeitskämpfen zur Seite, als sich an einer These über die politischen Widersprüche der Freiheitsbewegungen bis heute oder an einer über die Spaltung der Linken abzuarbeiten.

In „The Wind that Shakes the Barley“ erzählt Loach von den Brüdern Damian (Cillian Murphy) und Teddy (Pádraic Delaney), die sich im Irland der 20er-Jahre den Aufständischen anschließen und gegen die britischen Söldnertruppen zur Wehr setzen. Ihr mutiger Aufbruch gegen die Kolonialmacht eskaliert in willkürlicher Gewalt und ordinärem Krieg.

Dass die Kamera von Anfang an Partei ergreift und zur treuesten Gefährtin all derer wird, die sie für die Opfer der Historie und der Verhältnisse hält, gehört zu einem Loach-Film genauso wie das strenge Casting, das die Darsteller möglichst in dem Milieu sucht, von dem es erzählen will. Herkunft und Klassenzugehörigkeit lassen sich nicht spielen, so lautet Ken Loachs Besetzungskredo seit der ersten Stunde. Findet er keine Eisenbahner für „The Navigators“ (2001), schickt er sein Ensemble eben zu Eisenbahnern in die Lehre. Er lässt Schauspieler vor dem Dreh auf dem Bau oder unter Tage arbeiten, wenn es sein muss. Im Fall von „The Wind that Shakes the Barley“ sollen sie nicht nur irisch aussehen, sondern sich auch in den Ideologien der Partisanen zurechtfinden. Und damit die Spieler möglichst unmittelbar und authentisch reagieren, gibt Loach ihnen stets nur die Drehbuchseiten für die nächsten Szenen.

Die irischen Freiheitskämpfer in „The Wind that Shakes the Barley“ wissen also nicht, dass sie den kleinen Stalljungen, der sich schon beim Anblick eines wütenden Gutsherrn einnässt, ein paar Szenen später als Verräter erschießen werden. Es ist ihr erstes sinnloses Opfer, und es markiert ihren Übergang von einer beherzten Befreiungsbewegung zu einer Untergrundarmee mit terroristischen Methoden. Sie haben auch keine Ahnung, dass einer von ihnen bald im Gefängnis fürchterlich lange gefoltert werden wird. Oder dass sie am Ende die Waffen abgeben werden für einen Kompromiss mit den Briten, der manchen viel zu faul ist.

Das Authentische fällt auch diesem Ken-Loach-Film leicht. Aber man merkt ihm die Anstrengungen deutlich an, ein Stück Historie zu vermitteln, das schließlich zur Spaltung Irlands führte und bis heute das Leben auf beiden Seiten der Linien beeinflusst. Loach legt den Finger in offene Wunden – und manchmal scheint es, als wäre ihm mulmig dabei zumute. Die Dialoge und Debatten sind zu beflissen, stehen zu sehr im Dienst von Erwachsenenbildung und übergreifendem Geschichtsunterricht. Und die langen umständlichen Erklärungen zum Waffenstillstandsvertrag von 1922, den die einen als das kleinere Übel begrüßen und die anderen als faulen Kompromiss mit den Briten und Verrat an der sozialistischen Revolution ablehnen, legt für Minuten den Fluss der Filmerzählung lahm.

Am irritierendsten wirkt dabei der unausweichliche Brudermord, den Loach in seiner biblischen Gewichtigkeit ausspielt. Er entwickelt sich nicht aus einer zwingenden inneren Logik der Geschichte heraus, sondern aus der überdeutlichen Absicht des Regisseurs, den Aberwitz des Krieges und die ganze Freund-Feind-Dichotomie aufs Bitterste zuzuspitzen.

„The Wind that Shakes the Barley“ gehört sicherlich nicht zu den elegantesten und bündigsten Filmen des erklärten Trotzkisten. Vielleicht handelt es sich einfach um eine Geschichte, die Ken Loach noch erzählen wollte oder musste, als systemkritischer Brite. Umso mehr freut man sich über Szenen, die einfach nur frierende Männer mit tropfenden Nasen zeigen, die über die Grashügel ziehen und sich weiß Gott etwas Besseres vorstellen könnten, als im Dauerregen den Feind auszukundschaften. Eigensinnige, sture Kerle, die sich ihre roten Hände reiben, Witze reißen, auch mal dummes Zeug erzählen und sich gerade in dieser Banalität der innigen Sympathie des Ken Loach ganz sicher sein können.

„The Wind that Shakes the Barley“. Regie: Ken Loach. Mit Cillian Murphy, Liam Cunningham u. a. Irland/Großbritannien/Deutschland, 124 Min.