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Archiv-Artikel

Hochbegabter unter Hochdruck

Der Österreicher Gregor Schlierenzauer (16) trägt eine Last auf die vier Tournee-Schanzen: enorme Erwartungen

OBERSTDORF taz ■ Trotz seines noch sehr jugendlichen Alters ist Gregor Schlierenzauer in gewissen Dingen schon sehr professionell. Die Frage nach seinen Zielen für die bevorstehende Vierschanzentournee beantwortet er so: „Die Erwartungen sind auf Grund meiner Leistungen im Weltcup natürlich gestiegen. Ich möchte aber nur von Sprung zu Sprung, von Wettkampf zu Wettkampf denken. Am Ende ganz vorne zu stehen, das hängt von vielen Faktoren ab. Der Wind und die äußeren Verhältnisse sind nur ein Beispiel.“

Das klingt ziemlich abgeklärt, fast schon langweilig. Könnte der Österreicher nicht forsch behaupten, dass er die Tournee unbedingt gewinnen will, dass er weder Wind noch Wetter fürchtet und schon gar nicht den Druck, der als Tournee-Favorit auf ihm lasten wird? Schließlich ist Gregor Schlierenzauer, wohnhaft in Fulpmes im Stubaital, gerade einmal 16 Jahre alt. In vier Weltcupspringen ist er bisher an den Start gegangen, zwei davon hat er gewonnen. Ihm würde man es sicherlich verzeihen, wenn er ungestüm hehre Ziele formuliert, schließlich bewältigt er furchtlos seine Auftritte im Weltcup und versetzt die Skisprungwelt in Staunen.

Binnen weniger Wochen ist aus dem Schüler des Skigymnasiums Stams ein neuer österreichischer Schanzenheld geworden. Als er am Wochenende vor Weihnachten in Engelberg trotz Erkältung und Trainingspause das Springen gewann, sang Toni Innauer, Chef der österreichischen Skispringer, leise eine Hymne auf das Talent: „Diese Leistung nimmt einem die Luft“, sagte er. „Wir wissen, dass Gregor ein besonderes Juwel ist“, fügte er noch an. Doch so ein Juwel ist kostbar und soll vorsichtig behandelt werden, mahnte Innauer gleichzeitig. Kaum einer durchschaut die Mechanismen des Skisprungsports so gut wie Innauer, der einst selbst schon mit 16 Jahren das Osloer Holmenkollen-Springen gewann. Lauten Jubel über den Höhenflug eines Hochbegabten hält er noch nicht für angebracht. „Ich reagiere da mit routinierter Gefasstheit“, sagt Innauer.

Er kennt Gregor Schlierenzauer gut, weil dieser – genau wie Innauer – dem Skiklub Innsbruck-Bergisel angehört. Er weiß um die Strukturen, die der ÖSV für die Skispringer geschaffen hat. Innauer kommt deshalb zum Schluss, dass der derzeit so erfolgreiche Teenager in guten Händen ist, vor allem, wenn die Tournee beginnt. „Wir haben eine Struktur mit verantwortungsvollen Trainern und einer guten Öffentlichkeitsarbeit, in diesem Netz sollte er Schutz finden“, sagt Innauer. Schlierenzauer brauche diesen Schutz, wenn das Interesse einer ganzen Nation auf ihn gerichtet ist.

Schlierenzauer, der von seinem Onkel, dem ehemaligen Rodler Markus Prock, gemanagt wird, hat gerade ein paar ruhige Weihnachtstage im Kreise der Familie hinter sich. Es blieb Zeit, um das Erreichte einzuordnen. Es liegt ja in der Eigenart des Skispringens, dass immer wieder Teenager zu großen Höhenflügen ansetzen – weil ihre jugendlichen, schlaksigen Körper perfekte Flugeigenschaften besitzen und weil sie nicht groß nachdenken über das komplizierte Gefüge, das für weite Flüge notwendig ist, sondern einfach auf ihr Talent vertrauen. Matti Nykänen aus Finnland war einst so ein Milchgesicht, das weiter flog als alle anderen. Heute ist Nykänen alkoholkrank und beschäftigt die Justiz seines Heimatlandes. Sein Beispiel lehrt gleichzeitig, dass früher Ruhm vor späten Abstürzen nicht schützt, sie vielleicht sogar befördert.

Deshalb hält Innauer all die schützenden Barrieren, die sie um Schlierenzauer aufgebaut haben, für so wichtig. „Es sind ja so gewaltige Brocken, die er jetzt zu verdauen hat. Seine Entwicklung erfährt jetzt eine Beschleunigung, die nicht ohne ist.“

Der zurückhaltende Ski-Funktionär kann ein großes Lob dann doch nicht für sich behalten: Er finde, Schlierenzauer sei in seinen Flugeigenschaften besser als Sven Hannawald. Und der hat schließlich die Tournee 2001/2002 nicht einfach nur so gewonnen, sondern auch gleich alle vier Einzelspringen für sich entschieden.

1999 hat sich Schlierenzauer das erste Mal Sprunglatten unter die Füße geschnallt. Damals gehörte sein Zimmerkollege Martin Höllwarth, der bereits 1992 zu Olympiamedaillen sprang, schon lange zum Weltcuptross. Martin Schmitt gewann damals das Neujahrsspringen. Mittlerweile fliegt Gregor Schlierenzauer ihnen allen davon.

KATHRIN ZEILMANN