Zwischen Hybris und Humanismus

JUBILÄUM Heute feiert der Defa-Filmregisseur Kurt Maetzig seinen hundertsten Geburtstag

Als Kurt Maetzig im Frühjahr 1944 die Wohnung betritt, in der sich seine Mutter versteckt hält, findet er sie sterbend vor. Kein anderer Ausweg mehr als Selbstmord schien ihr offen, um der Deportation zu entkommen. Dieser Einschnitt lässt den damals 33-Jährigen nicht mehr los. Maetzig, als „Halbjude“ vom deutschen Film ausgeschlossen, findet noch Ende 1945 Kontakt zu sowjetischen Kulturoffizieren, die nach unbelasteten Filmschaffenden suchen. Als im Mai 1946 die Deutsche Filmaktiengesellschaft (Defa) gegründet wird, sitzt er als Gesellschafter mit im Podium. Bereits ein Jahr später stellt er seinen ersten eigenen Spielfilm fertig: „Ehe im Schatten“ wird von Millionen Zuschauern weltweit gesehen. 1948 gewinnt er als „Bester deutscher Film“ den ersten Bambi. In seinem Debüt erzählt Maetzig die Tragödie eines deutsch-jüdischen Schauspielerpaars, das gemeinsam aus dem Leben scheidet. Der Stoff ist am Schicksal des UFA-Stars Joachim Gottschalk und seiner Frau angelehnt, trägt aber auch deutliche autobiografische Züge.

Kurt Maetzig hat bei der Defa zwanzig Spiel- und zahlreiche Dokumentar- bzw. Propagandafilme gedreht sowie viele Wochenschauen redaktionell betreut. Sein Werk ist von Widersprüchen geprägt. Ein Autorenfilmer war er keinesfalls, eher ein handwerklich routinierter Allrounder, der nahezu jedes Genre bedienen konnte. Neben humanistisch inspirierten Filmen wie „Die Buntkarierten“ (1949) oder „Mann gegen Mann“ (1976) drehte er Komödien wie „Vergesst mir meine Traudel nicht“ (1957) oder den ersten Science-Fiction der DDR, „Der schweigende Stern“ (1960). Maetzig agierte meist als filmender Parteiarbeiter, der sich nach der jeweils wechselnden Linie auszurichten vermochte. Mit Filmen von „Roman einer jungen Ehe“ (1952) bis „Die Fahne von Kriwoj Rog“ (1967) lieferte er DDR-offizielle Wunschprojektionen. Tiefpunkt dieser Serie sind ohne Zweifel die beiden Thälmann-Filme (1954/55), die nach getreulich sowjetischem, sprich stalinistischem Vorbild ein Heldenporträt in permanenter Hybris entwarfen.

Nur einmal hat er sich gegen die restaurative SED-Führung aufgelehnt: Sein Film „Das Kaninchen bin ich“ wurde im Dezember 1965 wegen „sozialismusfremder Tendenzen“ verboten. Nach dem 11. Plenum, auf dem Ansätze liberaler Kulturpolitik rigide abgebrochen wurden, schrieb Maetzig einen Brief an Walter Ulbricht, in dem er sich Asche aufs Haupt streute und „anderen Künstlern, die in diese Situation geraten waren“ signalisierte, „den Kampf abzubrechen“. Im Biermann-Jahr 1976 ging er termingerecht in Rente, realisierte danach keinen weiteren Film. Mehrere ehrgeizige Projekte scheiterten. Er engagierte sich in der Filmclubbewegung und schrieb theoretische Texte. 1990 blickte er kritisch auf die DDR zurück, „Das Kaninchen bin ich“ stufte er als seine beste Arbeit ein, disqualifizierte hingegen die Thälmann-Filme als „unansehbar“. Der aus bürgerlichen Verhältnissen stammende, hochgebildete Kurt Maetzig operierte in der DDR aus der Position eines Konvertiten. Zum bedingungslos benutzbaren Opportunisten wurde er dabei nicht. Sein Leben und Werk schreiben sich in eine deutsche (Film-)Geschichte ein, deren Vermessung erst am Anfang steht. CLAUS LÖSER

■ Im Filmmuseum Potsdam läuft derzeit eine Retrospektive mit ausgewählten Filmen Kurt Maetzigs (www.filmmuseum-potsdam.de)