Die Spardiktatur

Auch 2007 wird der Landeshaushalt das Lieblingsthema der Landesregierung. Dabei produziert Finanzminister Linssen mit dem Sparkurs die Belastungen von morgen, meint ANDREAS WYPUTTA

Lebenslügen waren gestern. Wer 2007 Überraschendes von der Regierung Rüttgers erwartet, dürfte enttäuscht werden: Statt provokativer Debatten um den Kurs der CDU, statt Gerechtigkeitsdiskursen am Beispiel älterer Arbeitsloser werden Nordrhein-Westfalens Christ- und Freidemokraten in diesem Jahr Bodenständiges servieren. Sparen, sparen und nochmals sparen ist angesagt – die Haushaltskonsolidierung bleibt das politische Megathema der Landesregierung. „Viel mehr kommt nicht“, sagen Mitarbeiter der Düsseldorfer Staatskanzlei in ungewohnter Offenheit.

Messlatte Neuverschuldung

Denn für immer mehr Journalisten nicht nur konservativer Medien gilt die Neuverschuldung als Messlatte für den Regierungserfolg. Nur ein Ausstieg aus der Schuldenspirale sichere auch künftig Gestaltungsspielräume, lautet das neue Dogma. CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, sein FDP-Stellvertreter Andreas Pinkwart und allen voran Rüttgers‘ Parteifreund und Finanzminister Helmut Linssen werden alles tun, um die Erwartungen zu erfüllen. Bereits 2008 will die Landesregierung die Verfassungsvorgabe erfüllen, nach der die neuen Schulden die Investitionen nicht übersteigen dürfen – bei Antritt seiner Regierung glaubte Rüttgers, diese Regel noch bis 2010 umgehen und eine „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ ausrufen zu müssen.

Sparen um jeden Preis

Zwar wird Linssen auch in diesem Jahr 4,1 Milliarden Euro neue Schulden machen. Doch der Finanzminister hat seine Kabinettskollegen im Griff: Schon heute verzichtet Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann, als Bundesvorsitzender der CDU-Sozialausschüsse eigentlich ein mächtiger Mann, auf jede Initiative zur Beschäftigungsförderung. Stattdessen träumt er von Mittelkürzungen für den Wiesbadener Arbeitslosen Henrico Frank. Die in Richtung Existenzminimum tendierenden gesetzlichen Renten will Laumann mit dem Uralt-Konzept des Investivlohns aufpeppen – auf Kosten und Risiko der Arbeitnehmer, die einen Teil ihres Lohns in ihren Unternehmen anlegen sollen. Kombilohnmodelle für Geringqualifizierte dagegen wird der Westfale stützen, solange sie wie das Arbeitslosengeld II der Hartz IV-Empfänger aus dem Etat von SPD-Vizekanzler und Bundesarbeitsminister Franz Müntefering finanziert werden.

Das Ende der Steinkohle

Auf der Wunschliste steht deshalb auch ein Ende der hochsubventionierten Steinkohle. Der von den Sozialdemokraten und der Bergbaugewerkschaft IG BCE gewünschte langfristige „Sockelbergbau“ koste 30 Milliarden Euro, warnt Regierungschef Rüttgers bereits jetzt. Das sei nicht zu finanzieren. Über die noch immer 25.000 Bergleute spricht Rüttgers nicht.

Sponsoring der Industrie

Geschickter agiert da schon Rüttgers‘ Stellvertreter, Wissenschaftsminister Pinkwart. Investitionen in die Atomenergie-Forschung in Jülich werden nicht, wie von Rot-Grün beschlossen, gestrichen. Stattdessen schafft der Liberale zusätzlich zu den bestehenden drei sogar noch einen vierten Lehrstuhl, zahlt dafür aber nur 120.000 Euro jährlich. Ein Sponsoring der Industrie macht‘s möglich: Dem Atomstromkonzern RWE und den Stahlkochern von Thyssen-Krupp ist das Jülicher Forschungszentrum satte 3,5 Millionen Euro wert.

Kostenfaktor Umwelt

Zu Opfern des Sparkurses dürften dagegen Umweltschutzprojekte werden. So drohen der Stiftung Umwelt und Entwicklung schon heute Mittelkürzungen von 75 Prozent: Statt über vier Millionen will Linssen nur noch 800.000 Euro aus den Gewinnen der staatlichen Oddset-Sportwetten überweisen. Zwar protestiert der Stiftungsvorsitzende, der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Karl Lamers. Für Hardliner wie FDP-Landtagsfraktionschef Gerhard Papke aber bleibt der Umweltschutz auch in Zeiten, in denen sich selbst Unternehmen um die finanziellen Folgen der Klimakatastrophe sorgen, „ideologischer Firlefanz“.

Weniger Geld für Bildung und Soziales

Weiter sparen lässt der selbsternannte Arbeiterführer Rüttgers auch bei den sozial Schwachen. In der Kinder- und Jugendarbeit setzt Linssen genauso den Rotstift an wie bei den Kindertagesstätten oder der Lernmittelfreiheit für Arme. Zu Tode gespart wird auch die Frauenförderung – und von einem kostenfreien Erststudium spricht sowieso kaum noch jemand. Dabei gilt die nicht Akademikerquote der Republik im internationalen Vergleich schon heute als viel zu gering. Auf dem Spiel steht nun selbst die Chancengerechtigkeit.

Kurzfristig mag der Finanzminister und mit ihm die gesamte Landesregierung also Erfolgsmeldungen produzieren. Langfristig aber sorgt Linssen so für die Steuerausfälle und Kosten von morgen – und muss berichten, dass schon heute die Ausgaben für Prozesskostenhilfe, Privatinsolvenzen und die Heimunterbringung von Kindern „unerwartet“ ansteigen.