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Archiv-Artikel

Abbruch vor dem Abriss

Die Olympiaschanze in Garmisch-Partenkirchen wird abgerissen. Martin Schmidt, einem der schärfsten Kritiker des Stahlmonsters, gelingt im Regenspringen die Versöhnung mit der Anlage

AUS GARMISCH-PARTENKIRCHEN Katrin Zeilmann

Man muss der Gefährtin von Martin Schmitt wirklich wünschen, dass seine Beziehung zu ihr nicht ähnliche Höhen und Tiefen durchlebt wie Schmitts Verhältnis zur Olympiaschanze in Garmisch-Partenkirchen. Ein letztes Hoch erlebte die Beziehung beim abgebrochenen Regenspringen am Neujahrstag. Martin Schmidt war nach dem ersten Durchgang Achter. Den Platz durfte er behalten, weil der zweite Durchgang abgesagt wurde. Zu viele Springer hatten sich über die vom Regen arg malträtierte Anlaufspur mokiert. Der Schweizer Andreas Küttel durfte sich nach seinem Sprung auf 125,5 Meter als Sieger feiern lassen. Er ist der letzte Sieger auf der Olympiaschanze von Garmisch-Partenkirchen.

Martin Schmitt hat in Sachen Schanzen stets leidenschaftliche Debatten entfacht und geführt. Ein besonders inniges, vor allem aber konfliktreiches Verhältnis pflegte er zur in den Dreißigerjahren erbauten Schanze in Garmisch-Partenkirchen. Da ist es fast schade, dass in der Auseinandersetzung der alten Schanze gegen den forschen Skispringer die Anlage den Kürzeren zieht: Nur ein paar Stunden nach dem gestrigen Neujahrsspringen begann der Abriss der Schanze. Die mächtige Stahlkonstruktion muss einer futuristischen Schanzenanlage weichen. Die neue, 10 Millionen Euro teure Schanze wird ähnlich modern sein wie die Tournee-Anlagen in Oberstdorf, Innsbruck und Bischofshofen. Traditionalisten betrauern das Aus für die Olympiaschanze, wirkte sie doch wie ein Relikt aus vergangenen Tagen. Schanzen waren damals noch nicht genormt, und niemand hat gefragt, ob es etwa einen Aufzug am Schanzenturm gibt. Funktionsgebäude waren unwichtig, und daran, dass Aussichtsplattformen auf dem Schanzenturm nötig sind, am besten noch ein Café, um in wettbewerbsfreien Zeiten Touristen anzulocken, hat niemand gedacht.

Jetzt bekommt also Garmisch-Partenkirchen eine moderne Schanze. Die Anlagen werden austauschbarer, und der Skisprungsport verliert eine Herausforderung und eine Eigenart, wenn sich ein Sprung in Garmisch-Partenkirchen genauso anfühlt wie in Innsbruck. Vor Tournee-Beginn sagte Schmitt: „Ich freue mich, dass die Schanze endlich umgebaut wird. Das musste einfach kommen. Ich hoffe, es wird eine richtig schöne Anlage. So wie es sich für den Standard bei der Vierschanzentournee gehört.“ Er freue sich auf den Abriss, ergänzte er noch. 1999 hat Schmitt hier das Neujahrsspringen gewonnen, es war in jenem Winter, als er sich als neuer deutscher Sprungstar in die Weltspitze katapultiert hatte. Damals erging es ihm wie allen Seriensiegern, da war es egal, wie die Schanze beschaffen ist. Schmitt reiste an, stieg auf den Turm, setzte sich auf den Balken, fuhr an, sprang ab, flog, landete und war erfolgreich dabei. Bekanntlich riss die Schmitt’sche Glückssträhne, und von den alten Erfolgen auf der Garmischer Schanze wollte er nun nichts mehr wissen.

Schmitt ist jung und modern, er ist Hauptdarsteller beim Event Skispringen. Mit Tradition und Bildern von wagemutigen Männern in Schwarzweiß kann er wenig anfangen. Vor drei Jahren schimpfte er auf die Schanze in Garmisch-Partenkirchen: „Wir haben jetzt bei der Vierschanzentournee überall moderne Anlagen, nur Garmisch-Partenkirchen hängt nach. Unten im Radius kann das richtig gefährlich werden.“ Die Garmisch-Partenkirchener hat er damals sehr verärgert. „Schmitt hat derzeit Frust, weil es bei ihm nicht läuft. Aber er sollte seinen Frust nicht an anderen auslassen“, sagte Hansjörg Rieß, Sprecher des Organisationskomitees. So ganz falsch kann er nicht gelegen haben, denn schließlich wurde Schmitt in jenem Jahr in Garmisch-Partenkirchen gerade einmal 22.

Wenige Stunden vor dem Beginn der Abrissarbeiten scheint sich Schmitt mit der zuletzt so ungeliebten Schanze doch noch ausgesöhnt zu haben. Schon in der Qualifikation gelang ihm einer der weitesten Sprünge, auch im Training wusste er bei jedem Versuch zu überzeugen, und nach dem Wettbewerb befand er sich auf dem ausgezeichneten achten Rang. Vielleicht war er am Abend doch ein wenig traurig, dass ein Stück Skisprung-Geschichte den modernen Zeiten weichen muss.