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Archiv-Artikel

Gashahn für Weißrussland bleibt auf

Moskau und Minsk einigen sich in letzter Minute auf einen Kompromiss im Gasstreit. Deutsche Energieexperten warnen trotzdem vor der Abhängigkeit von russischem Gas und rufen dazu auf, Alternativen zu suchen und Sparmöglichkeiten zu nutzen

BERLIN taz/rtr/ap/dpa ■ Es war ein kleiner Nervenkrieg: Ganze 30 Minuten vor Ablauf des Ultimatums um 0 Uhr in der Neujahrsnacht traf der weißrussische Ministerpräsident Sergej Sidorski im Hauptquartier des russischen Gasmonopolisten Gazprom ein – und unterzeichnete einen neuen Vertrag für Gaslieferungen in sein Land. Künftig zahlt Weißrussland 100 Dollar für 1.000 Kubikmeter Gas. Das ist mehr als doppelt so viel wie bisher und nur 5 Dollar weniger, als Gazprom gefordert hatte.

Mit der Einigung sind die Gaslieferungen auch nach Westeuropa nun zwar ebenfalls vorläufig gesichert – 20 Prozent der russischen Gaslieferungen dorthin laufen durch weißrussische Pipelines. Doch diesen Nervenkitzel solle man sich künftig besser sparen, meinen nun deutsche Energieexperten. Sie rufen dazu auf, sich von russischem Gas unabhängiger zu machen. Schon im vergangenen Jahr hatte es einen ähnlichen Streit zwischen Gazprom und der Ukraine gegeben, in dessen Verlauf die Lieferungen nach Europa kurzzeitig tatsächlich unterbrochen worden waren.

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Eckart von Klaeden, wies darauf hin, dass Russland und Deutschland „derzeit noch auf die Einhaltung der geschlossenen Verträge angewiesen seien“. Die aktuellen Konflikte zeigten aber, dass es gut wäre, „das einseitige Maß an Energie-Abhängigkeit insbesondere vom Gas in Zukunft deutlich zu reduzieren“.

Auch Holger Krawinkel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) machte eine drohende „ernsthafte Versorgungslücke“ aus, wenn keine neuen Gasquellen erschlossen würden. Wichtiger aber noch als beispielsweise Verträge mit afrikanischen Ländern, die verflüssigtes Erdgas exportierten, sei es, den Verbrauch zu drosseln. Es sei Unfug, mehr als 60 Prozent des importierten Erdgases zur Erzeugung von Raumwärme und Warmwasser in Haushalten, Gewerbe und Industrie einzusetzen. Stattdessen müsse Deutschland mehr in Kraftwärmekopplung und eine umfassende Sanierung von Gebäuden investieren. Mit Letzterem lasse sich der Energiebedarf dieser Gebäude innerhalb von 25 Jahren um bis zu 75 Prozent reduzieren, so der Experte.

Rückenwind könnten Krawinkels Forderungen durch die aktuelle Preispolitik auch der deutschen Gasversorgungsunternehmen erhalten: Nach Beobachtungen des Hamburger Energie-Informationsdienstes EID müssen die Verbraucher in Deutschland rund zwölf Prozent mehr für Gas bezahlen als noch vor einem Jahr – wobei die Unternehmen allerdings sehr unterschiedlich agieren. Der EID machte bei den Nettokosten für ein mittleres Einfamilienhaus Preisdifferenzen von rund 200 Euro im Jahr aus. Am teuersten ist Gas in München, Dresden und Frankfurt (Oder), am günstigsten in Weser-Ems, Frankfurt/Main und Magdeburg.

In den beteiligten Ländern selbst wurde der Kompromiss im russisch-weißrussischen Gasstreit unterschiedlich aufgenommen. Gazprom-Chef Alexej Miller zeigte sich sehr zufrieden. „Die erzielten Bedingungen sind die besten, die es auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion gibt“, sagte er. Weißrusslands Ministerpräsident Sidorski sah das nicht so. Er erklärte: „Wir haben nicht viele Bodenschätze.“ Russland habe sein Land „in eine schwierige Situation gebracht, aber wir werden stark bleiben“. Zum Abkommen gehört auch, dass Gazprom 2,5 Milliarden Dollar an Weißrussland zahlt, um dessen Pipelines vier Jahre lang zu kontrollieren. Zudem erklärte sich der Konzern bereit, doppelt so viel an Transitgebühren für das Gas nach Europa an die Regierung in Minsk zu zahlen.