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Archiv-Artikel

Was kommt danach?

HIPPEN EMPFIEHLT In „Hereafter“ spekuliert Clint Eastwood ganz ohne den nicht nur im Kino üblichen Mummenschanz darüber, wie es nach dem Tod mit uns weitergeht

Clint Eastwood ist inzwischen 80 Jahre alt und meditiert hier mit großer Gelassenheit über die Sterblichkeit und deren Rätsel

VON WILFRIED HIPPEN

Der in Ritterhude lebende Michael Dwelk ist einer der Überlebenden des Tsunamis, der im Dezember 2004 die Küste von Thailand zerstörte. Er hat über diese Erfahrungen ein Buch („Angekommen in der Gegenwart“, selbst verlegt über Books on Demand) verfasst, und seine Beschreibung des sein Leben radikal verändernden Moments, als die Welle ihn erfasste, mit sich riss und dann wieder ausspuckte, entspricht frappierend den ersten Minuten dieses Films.

Auch hier wird die Katastrophe aus der Perspektive eines (oder in diesem Falle einer) Überlebenden dargestellt, und obwohl man in den Totalen die Computeranimationen erkennen kann, wirkt diese Sequenz absolut glaubwürdig. Für Eastwoods Film ist die Welle nur der Ausgangspunkt einer komplexen Geschichte, aber der Vergleich mit Dwelks Text macht deutlich, wie gut recherchiert und virtuos inszeniert „Hereafter“ ist.

„Sein Geist war in uns noch derart lebendig, dass ich bei der Beerdigung wie alle anderen dachte: Wo ist er jetzt?“ Der britische Drehbuchautor Peter Morgan („The Queen“) hat aus diesem Impuls heraus, denn wohl alle kennen, die den plötzlichen Tod eines geliebten Menschen erlitten haben, das Skript zu „Hereafter“ geschrieben. Er gibt keine Antwort: dies ist kein Film über Geister, Himmel und Hölle oder Reinkarnationen.

Erzählt wird davon, dass niemand wissen kann, was nach dem Tod mit uns passiert, aber einige Menschen immer dringend eine Antwort darauf suchen werden. Clint Eastwood vermeidet hier behutsam jedes Abgleiten ins Genrekino, das man von ihm ja immer noch erwartet.

Stattdessen erzählt er mit einer souveränen Ruhe von drei Menschen, die auf ganz unterschiedliche Weise Erfahrungen mit den Grenzen zwischen Leben und Tod gemacht haben.

Die französische Journalistin Marie wurde im Urlaub in Indonesien von einem Tsunami mitgerissen und war klinisch tot. Sie hatte eines jener Nahtoderlebnisse mit dem weißen Licht, den schemenhaften Figuren sowie der sich ausbreitenden Ruhe, von denen viele Überlebende berichteten, und durch diese Erfahrung wird sie zu einem anderen Menschen. Aus der karrierebewussten Fernsehmoderatorin wird eine Suchende, die beginnt, für ein Buch mit diesem als esoterisch verpönten Thema zu recherchieren. In London verliert der zwölfjährige Marcus durch einen Unfall seinen Zwillingsbruder und er spürt eine Verbundenheit mit ihm, die über dessen Tod hinausgeht.

In San Francisco versucht schließlich der von Matt Damon gespielte George ein betont durchschnittliches Leben zu führen, weil er eine Gabe hat, die er als einen Fluch empfindet. Wenn er Menschen berührt, erfährt er wie in einem Blitz Dinge über sie und die Toten, die ihnen noch nahe sind.

Der Film ist dramaturgisch geschickt aufgebaut, denn die Episoden sind für sich komplex und bewegend erzählt und wenn sich die drei Protagonisten schließlich begegnen, folgt dies zwar den Konventionen dieser Art, Geschichte zu erzählen, ist aber dennoch überraschend und erstaunlich bewegend.

Ganz nebenbei und unangestrengt sind viele Aspekte und Informationen über die Frage nach dem Jenseits in den Film eingearbeitet. So zeigt „Hereafter“ auch einige der vielen esoterischen Scharlatane und lässt eine Sterbeforscherin von ihren Ergebnissen reden. Clint Eastwood ist inzwischen 80 Jahre und meditiert hier mit großer Gelassenheit über die Sterblichkeit. Er ist ein Skeptiker, der jeden Mummenschanz verabscheut und das große Rätsel nicht durch Kinotricks trivialisiert.