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Archiv-Artikel

„Ich dachte, die WM ist futsch“

An der Ersatzbank hab ich dann erst einmal direkt zwei Stühle umgetreten.Einen Freund von mir, Patrick Owomoyela, hat es auch kurz vor der WM erwischt.

INTERVIEW HOLGER PAULERUND BENJAMIN WASSEN

taz: Herr Kehrmann, Sie verstecken ihre Wurfhand unter dem Tisch?

Florian Kehrmann: Ach nein, der Hand geht es eigentlich ganz gut. Die Schrauben sind fest, die Platte auch. Es ist noch etwas dick, aber das liegt an der Platte.

Werfen und Fangen damit geht ganz normal?

Ja. In den ersten Wochen hab ich nur mit einem Softball trainiert. Vor zwei Wochen habe ich angefangen, mit einem Handball zu werfen.

Was waren Ihre Gedanken, als Sie sich die Hand brachen?

Ich dachte, die WM ist futsch. Ich hab geworfen und dann direkt gemerkt, dass da was nicht stimmt. Ich hatte zwar keine Schmerzen, aber konnte den Handknochen verschieben. Da war mir klar, dass was gebrochen ist. An der Ersatzbank hab ich dann direkt zwei Stühle umgetreten.

Aber Sie sind zuversichtlich, dass Sie fit genug für die Vorbereitung?

Ich bin eh zuversichtlich. Bis zur WM sowieso. Direkt nach dem Röntgen hat der Mannschaftsarzt die Sache schon ein bisschen entschärft. Er meinte, wenn alles normal läuft, bin ich in sechs Wochen wieder fit. Da hab ich den Taschenrechner rausgeholt und gesehen, dass das genau der 2. Januar ist – der Start der Vorbereitung.

Sie haben seit 2000 bei allen großen Turnieren gespielt, aber die Nationalmannschaft musste immer ersatzgeschwächt anreisen. Geht einem das dann noch mal durch den Kopf?

Der Gedanke war bei mir recht schnell verflogen. Mir war klar, dass ich alles tun würde, um spielen zu können. Es kann ja auch ein Vorteil sein, dass man ausgeruht ist und sich gezielt auf so eine WM vorbereiten kann. Die anderen haben jetzt im Dezember noch sieben oder acht Spiele in der Bundesliga gehabt.

Ist der volle Spielplan ein generelles Problem? Auch mit den vielen großen Turnieren?

Das nervt schon. Ich persönlich glaube ja, dass sich das während meiner Karriere nicht mehr ändern lässt mit dem internationalen Terminplan. Ein Vierjahres-Rhythmus bei EM und WM wäre sinnvoller. Es gibt ja auch noch Olympische Spiele und so hätte man drei Großereignisse in vier Jahren.

Was kann so eine WM im eigenen Land für den Handball in Deutschland bedeuten? NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) hofft auf einen ähnlichen Boom wie bei der Fußball-WM.

Autokorsos wie beim Fußball wird es wohl nicht geben. Wenn wir Erfolg haben, ist auch die Euphorie da. Wir haben unseren festen Zuschauerstamm. Die Leute feiern aber lieber in der Halle als auf der Straße.

Wie neidisch schielen Sie auf die Fußball-Kollegen?

Grundsätzlich bin ich nicht neidisch. Wir haben natürlich auch viele Vorteile. Ich kann abends in Ruhe ein Bier trinken gehen. Ich glaub‘, wenn ich ein Strafverfahren wegen Drängeln hätte, dann würde das keinen interessieren. Aber bei David Odonkor war es dann das Tagesthema in der Presse. Wir versuchen, unsere Sportart voran zu treiben, und das können wir nur mit Erfolgen.

Wie groß sind die Hoffnungen, dass Sie Erfolg haben?

Sehr groß. Ansonsten würde ich mich wohl nicht so schinden. Wenn wir das Halbfinale erreichen, dann wird uns kaum einer schlagen können. Dann spielen wir vor Zwanzigtausend in der Kölnarena. Da müssen die anderen erstmal gegen ankommen.

Der Heimvorteil hat beim World Cup im Oktober nichts gebracht.

Ein Vorbereitungsturnier kann man nicht mit einer Europameisterschaft oder WM vergleichen. Wir sind 2004 bei einem Vorbereitungsturnier direkt vor der EM Letzter geworden, haben alle Spiele verloren. Wenige Wochen später waren wir Europameister. Die Weltspitze ist sehr nahe beieinander.

Kommt die WM zu spät? Viele von den Spielern, die die letzten zehn Jahre geprägt haben, sind abgetreten.

Das Ziel war natürlich, die WM 2005 nach Deutschland zu holen. Ich glaube, Spielern wie Christian Schwarzer, Stefan Kretzschmar oder Volker Zerbe tut das in der Seele weh. Nach der Silbermedaille bei den olympischen Spielen 2004 wäre das für sie der große Abschluss gewesen. Jetzt sind sie in einem Alter, wo sie ein bisschen mehr Zeit haben wollen. Aber wenn wir Erfolg haben, dann kommt die WM genau zum richtigen Zeitpunkt.

Kretzschmar und Schwarzer gehören ja zum erweiterten Kader. Welche Rolle spielen sie?

Es ist eine Maßnahme, um sich abzusichern. Heiner Brand musste einen 28er Kader benennen und aus diesen 28 Spielern muss er das Aufgebot benennen. Nach der Vorrunde kann er außerdem nachnominieren. Bei den 20 Spielern, die heute ins Trainingslager starten, sind die beiden ja nicht mehr dabei.

Ist es bei Heiner Brand denkbar, dass Spieler nach der Vorrunde wegen zu schwacher Leistung aussortiert werden?

Es können nur sieben Leute spielen, ein paar sitzen auf der Bank und vielleicht zwei zur Reserve auf der Tribüne. Beim Fußball hat es einen Freund von mir, Patrick Owomoyela, ja auch kurz vor der WM erwischt. Heiner muss halt auch unpopuläre Maßnahmen treffen.

Haben Sie Angst, dass es Sie treffen könnte?

Ich gehe erst mal davon aus, dass ich fit werde. Und wenn die Hand nicht mitmacht, werde ich nicht auf einen Platz im Kader bestehen. Durch die letzten Jahre habe ich aber sicherlich einen kleinen Bonus. Und wenn die Prozentzahl, dass ich spielen kann, über fünfzig Prozent ist, dann werde ich bestimmt meinen Platz kriegen.

Haben Sie Erinnerungen an die WM 1982 in Deutschland?

Nein. Ich habe 1983 erst mit dem Handball angefangen. Als ich in der E-Jugend war, mit sieben oder acht Jahren, war ich bei einem Bundesligaspiel von Düsseldorf gegen Lemgo. Da hat der Volker Zerbe gerade seine erste Saison gespielt. Meine Mutter mir vor zwei Jahren ein altes Programmheft mit Unterschriften mitgebracht. Und da hab ich auch Volker Zerbes Unterschrift gefunden. Sehr amüsant.

War die WM für Sie also nicht der Auslöser zu sagen: Ich spiel jetzt Handball?

Die WM 1978 war durch den Titelgewinn bekannter. Bis vor zwei Jahren wusste ich überhaupt nicht, dass die WM 1982 in Deutschland war. Platz sieben konnte niemanden begeistern.

Haben Sie die Hoffnung, dass das Turnier 2007 besser in Erinnerung bleibt?

Natürlich. Aber der Turniermodus ist brutal. Du kannst eine Vor- und Zwischenrunde überragend spielen, Gruppenerster werden, alle Nationen schlagen. Dann spielst du im Viertelfinale gegen eine gute Mannschaft, hast einen schlechten Tag und bist raus.

Wie würden Sie denn die Popularität des Handballs im Vergleich zu anderen Sportarten sehen?

Ich denke, dass wir bei Olympia oder bei der Europameisterschaft, die wir gewonnen haben, schon eine extrem große Präsenz hatten. Dabei ist Stefan Kretzschmar durch sein extrovertiertes Auftreten sicherlich eine Ausnahme. Alle anderen müssen sich ihre Position über Jahre erarbeiten. Im Vergleich zu anderen Sportarten ist Handball hinter Fußball immer noch die Nummer zwei. Basketball hat vielleicht international mehr Renommee, aber in Deutschland spielt nur Dirk Nowitzki eine große Rolle.

Können Sie denn zwei andere Basketball-Nationalspieler nennen neben Dirk Nowitzki?

Ja, kann ich. Das ist kein Problem. Pascal Roller, Robert Garret, Patrick Femerling. Ich interessiere mich ja auch für Sport. Ich könnte auch tausend andere Sportler nennen. Wenn Dirk Nowitzki als bester deutscher Spieler aber in der Bundesliga spielen würde, würde ihn kaum einer kennen.

Hatten Sie darüber nachgedacht, ins Ausland zu gehen?

Da hat diese WM ein bisschen im Weg gestanden. Ich habe in der Bundesliga andere Vermarktungsmöglichkeiten als in Spanien. Grundsätzlich hätte mich das schon gereizt. Aber was ist, wenn du mit 31 gar nicht Fuß fasst, dich zwei Jahre quälst und mit 33 zurück kommst? Ich hab hier ein zweites Standbein mit dem Hummel Fashion Laden, und da habe ich halt meinen Vertrag bei Lemgo bis 2011 verlängert.

Wird der Rheinländer Florian Kehrmann etwa in Ostwestfalen sesshaft?

Ich hab früher gedacht, in Lemgo werde ich Handball spielen, aber nach meinem Karriereende bestimmt nicht leben wollen. Aber das muss ich abwarten. Ich bin niemand, der gerne zwei, drei Jahre im Voraus plant.

Und wie sind die Leute hier?

Entweder sie lieben dich oder sie hassen dich.

Und, werden Sie von vielen gehasst?

Nein. Hoffentlich bleibt das nach der WM auch so.