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Archiv-Artikel

Mit großem Überbau

AUSSTELLUNG Die Deutsche Kinemathek zeigt persönliche Dokumente und Arbeitszeugnisse aus dem Nachlass Ingmar Bergmans, dem auch die Retrospektive der diesjährigen Berlinale gewidmet sein wird

Bergman ist heute nach Ibsen der meistgespielte skandinavische Dramatiker

VON EKKEHARD KNÖRER

Im Februar 1960 erhält Ingmar Bergman ziemlich besondere Post: einen Brief mit den Insignien des Universal-Studios in Hollywood. Ein junger Regisseur lobt den Kollegen als größten Regisseur seiner Zeit und seine „unirdischen und brillanten Werke“ als außerordentliches Vorbild. Der Name des Unterzeichnenden, Stanley Kubrick, hat Bergman vermutlich wenig gesagt. Anzunehmen ist, dass er Fanbriefe dieser Art zu der Zeit mutmaßlich reichlich bekam. Der schwedische Filmemacher stand damals im Zenit seiner weltweiten Berühmtheit. Er brachte es im selben Jahr 1960 auf die Titelbilder von Spiegel und Time. Sogar schwedische Frauenzeitschriften brachten Home-Storys mit Bildern von ihm und seiner damaligen Ehefrau Käbi Läretei in den Sessellandschaften ihres luxuriösen Stockholmer Eigenheims.

Zeugnisse dieser Art finden sich in der Bergman-Ausstellung mit dem Untertitel „Von Lüge und Wahrheit“ in den Räumen der Deutschen Kinemathek am Potsdamer Platz. Sie begleitet die große Bergman-Retrospektive, die die Berlinale dem Regisseur in diesem Jahr widmen wird. Sie liefert zum Werk – aus dem man auch viele Ausschnitte sieht – die Grundierung von Motiven, Geschichten und einzelnen Szenen im Leben. Gleich zu Beginn wird beides in einer Foto-Konstellation mit Fleiß durcheinandergebracht. Da sieht man zum Beispiel Bergman im Ruderboot, daneben ein Ruderboot in einem Bergman-Film. So problematisch Bezüge dieser Art immer sind, so ist die Bedeutung des Autobiografischen im Werk dieses Regisseurs doch schwer zu bestreiten.

In einer Vitrine finden sich zwei Briefe, in denen sich Bergmans Eltern von seinen Filmen tief bewegt zeigen. Anzumerken blieb ihm, blieb seinem Werk gerade in seinen Glaubenszweifeln die prägende Herkunft aus einem protestantischen Pfarrhaus von Anfang bis Ende. Darin liegt möglicherweise auch sein zentrales Problem. Wenn Kinematheks-Leiter Rainer Rother sein Vorwort zum Ausstellungs-Begleitkatalog mit den Worten „Über seinen Rang in der Filmgeschichte gibt es keinen Zweifel“ beginnt, dann ist das zwar gut gebrüllt. Wirklich wahr ist es nicht. Blickt man mit den Augen von heute auf die noch in ihren komödiantischen Ausprägungen mit den „großen Fragen“ sich quälenden Filme des Schweden, dann blicken sie zunächst einmal als versinkende Riesen aus Alteuropa zurück.

Was Rother als ihr Verdienst lobt, das stets präsente Interesse an der condition humaine, nährt gerade den Zweifel. Justament das Beharren auf der Überzeitlichkeit in Wahrheit kulturgeschichtlich ziemlich genau datierbarer Fassungen von Problemen ist das Problem. Selbst ein durchaus Geistesverwandter wie Michael Haneke, der im Katalog zu seinem Verhältnis zu Bergman befragt wird, lobt den Kollegen zunächst sehr grundsätzlich als großartigen Schauspielerregisseur. Der Verweis auf das Schwerfällige des „metaphorischen Überbaus“ bleibt freilich nicht aus. Wer an zifferblattlose Uhren (in „Wilde Erdbeeren“) oder Max von Sydows Schachspiel mit dem Tod denkt (in „Das siebte Siegel“), begreift sehr gut, was Haneke meint.

Wirklich lebendig ist Ingmar Bergman derzeit vor allem als Mann des Theaters. Auch hier hat er, das zeigt die Ausstellung in vielen Dokumenten, zeitlebens große Triumphe gefeiert. Er ist, wie der Leiter der schwedischen Bergman-Stiftung Jan Holmberg berichtet, heute der nach Ibsen, aber vor Strindberg meistgespielte skandinavische Dramatiker auf der Welt. Die eigentlich spannende Frage nach der Zeitgenossenschaft von Bergmans Werk wird erst die Retrospektive beantworten. In der Ausstellung macht es erst einmal den Eindruck eines der Musealisierung überantwortbaren abgeschlossenen Sammelgebiets.

■ Filmhaus am Potsdamer Platz, bis 29. Mai 2011