Jägerin des Augenblicks

Monique Schwitter ist Schauspielerin und Autorin. Und Gastgeberin des „Damensalons“ im Hamburger Schauspielhaus, in dem sie Literatur von Frauen vorstellt. Sie sagt: „Da gerät was unter die Räder, dem ich einen Ort geben möchte“

„Ich belausche alle und begucke alles. Alles verwende ich für das, woran ich gerade arbeite“

von CAROLA EBELING

Monique Schwitter lehnt halb verdeckt am Türrahmen der Altbauwohnung. Eine eher zierliche junge Frau, lange braune Haare, enge Jeans, ein gestreifter Wollpullover – und eine Brille, die ihrer Funktion nur halb nachkommen kann. Ein großes weißes Pflaster bedeckt das rechte Auge und reicht noch weit über die Wange, die Brillenfassung umrandet ein weißes Nichts. Das linke Auge ist braun und blickt aufmerksam. Das Pflaster ist einer heftigen Augenentzündung geschuldet, das Gesicht der Schauspielerin wirkt dadurch bizarr, so als hätte sich sich für ihre Wunschrolle der Calamity Jane zurechtgemacht: Eine, die scharf schoss, die nicht ungefährlich lebte als Flintenweib, allein unter Männern im Wilden Westen.

Auf der Bühne stand Monique Schwitter am Abend zuvor, seit August 2005 ist die 34-Jährige im Ensemble des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Der damals neu berufene Intendant Friedrich Schirmer hatte sie in Graz spielen sehen und wollte sie unbedingt hier haben. Ihre nächste große Rolle ist die der Klara in Hebbels „Maria Magdalena“, Premiere ist am 12. Januar.

Angefangen hat die Schweizerin am Schauspielhaus Zürich, in ihrer Heimatstadt, dann ging sie nach Frankfurt, von dort nach Graz. Jetzt in Hamburg zu sein sei „richtig, denn hier gibt es einen Neuanfang, hier geht es nicht darum, etwas zu bewahren. Das ist mein Anspruch an Theater.“ Sie sagt das bestimmt. Sie weiß, was sie vom Theater will. Warum sie spielen will. Sie weiß es, seit sie mit elf Jahren eine Merlin-Inszenierung sah. Es war die ungeheure Intensität auf der Bühne, die auf ein schon damals gespürtes Bedürfnis traf: „Ich wollte mich äußern, mich stark äußern, weil ich das Gefühl hatte, da will was raus. Und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass das nicht erwünscht ist.“

Das Drehen der Zigaretten klappt auch mit einem Auge gut. Das häufige Innehalten in der Rede ist dem Suchen nach genauen Worten geschuldet. Die Sätze sind nicht schon fertig, und wenn sie kommen, so oft mit Nachdruck, starken Betonungen, von Gesten unterstrichen.

Es gehe ihr um das Momentane, das Augenblickliche auf der Bühne. Um Wahrhaftigkeit, die nur dort gelingt. Weil die Bühne für sie ein angstfreier Raum ist, wo das Eigene und das Fremde auf einzigartige Weise zusammenkommen, ohne dass das Fremde zur Bedrohung wird: „Wenn’s gelingt, dann bist Du das Fremde. Das ist ein ganz wahnsinniger Moment! Sonst ist immer alles Abgrenzung: Sich selbst definieren. Im Theater machst Du die Grenzen auf.“ Diese Freiheit kenne sie im Privatleben nicht. Aber die Fragen, wie die nach dem Fremden, die kennt sie gerade dort, die treiben sie um, da gibt es keine Trennung: „Ich bin ja nicht A, die Privatperson, B, die Schauspielerin und C, die Autorin. Ich stelle mir Fragen. Ich untersuche Dinge, die mich interessieren.“

„C, die Autorin“: Monique Schwitter ist auch Schriftstellerin. 2005 erschien ihr Debüt mit Erzählungen im Droschl Verlag. „Wenn’s schneit beim Krokodil“ wurde von der Kritik mit viel Lob bedacht. Sie arbeitet bereits an einem Roman. In ihren Erzählungen geht es um Begegnungen, Momentaufnahmen, die dann ganz genau betrachtet werden. Monique Schwitter erzeugt eine hohe Intensität, gerade in der Reduzierung, ihr Blick ist genau und geht ins flüchtige Detail. Aber das Flüchtige, der Augenblick, das ist es ja gerade, was sie interessiere – wie auf der Bühne. Und darum mache sie beim Schreiben eigentlich dasselbe wie beim Schauspielern – ihren Fragen nachgehen. Auch in ihrer Literatur geht es um die Motive Fremdheit und Nähe. Sie werden in den Begegnungen ihrer Figuren inszeniert. Und Möglichkeiten werden durchgespielt. „Wie kommt es zu einer Entscheidung für die eine Möglichkeit?“ Das eine Auge blickt konzentriert geradeaus, auf einen unsichtbaren Punkt auf der bilderlosen Wand, dann wieder auf das Gegenüber. „Du kannst alles machen. Aber ich möchte das Richtige, das mir Entsprechende machen. Das habe ich von mir immer erwartet.“

Monique Schwitter macht viel, sie ist auch D, die Gastgeberin des „Damensalon“. Seit März 2006 lädt sie jeden ersten Mittwoch im Monat in die Kantine des Schauspielhauses ein. Dort, in einem Ambiente zwischen Bar und Restaurant, stellt sie Literatur ihrer Lieblingsautorinnen vor: Mela Hartwig und Fleur Jaeggy sind zwei davon – Autorinnen, die sie spät entdeckt hat, weil sie wenig bekannt oder ihre Werke oft vergriffen sind. Und deren Lektüren sie oft als besonders beglückend erlebt hat. „Da gerät was unter die Räder, dem ich einen Ort geben möchte. Auch wenn es als überholt gilt, ausschließlich Texte von Frauen vorzustellen. Es ist nötig. Und ich wollte das machen.“

Da ist ein starker Wille spürbar, eine Energie, die sich mit einer Haltung verbindet. Es ist genau diese Mischung, die sie mit auf die Bühne nimmt und die auch ihre Literatur ausmacht. Und die strahlt sie auch im Salon aus: Obgleich sie sich hier zurücknimmt, ist sie dennoch präsent, ganz den Texten und dem Publikum zugewandt.

Nicht zuletzt daran könnte es liegen, dass so viele kommen: Im Schnitt sind es 80 Frauen und Männer unterschiedlichen Alters, die der lebendigen Kombination von Lesung, Gespräch und eigens komponierter Livemusik beiwohnen. Anfangs hat Monique Schwitter oft selbst gelesen, jetzt finden auch die anderen Mitglieder des Ensembles Gefallen daran. Heute geht es um die Schriftstellerin Jutta Heinrich – die Erste, die vor Ort sein und ihre Texte selbst lesen wird.

Monique Schwitter macht viel. Und sie erhält viel Anerkennung dafür. Mit dem Wort Erfolg kann sie aber nichts Rechtes anfangen. Auch gibt es kein Ausruhen, keine Stillung, wenn etwas gelungen ist. „Mein inneres Tempo ist hoch, und genauso hoch ist die Erwartung an mich selbst, was die Schnelligkeit und Tatkraft angeht.“ Sie überlegt, lacht. „Ich würde gerne mehr machen können.“ Gierig sei sie, hungrig. „Ich belausche alle und begucke alles. Alles verwende ich für das, woran ich gerade arbeite. Ich bin ein Vampir.“ Ein Vampir – aber einer, der sehr viel zurückgibt.

Damensalon mit Jutta Heinrich: Heute, 21 Uhr, Kantine im Hamburger Schauspielhaus