: Jenseits der großen Schwelle
NAHTOD-ERFAHRUNGEN Der Glaube an das Außerordentliche: Clint Eastwoods neuer Film „Hereafter – Das Leben danach“
VON BERT REBHANDL
Über ein Leben nach dem Tod ist näherhin nichts bekannt – weder wissen wir, ob es eines gibt, noch können wir uns vorstellen, in welcher Seinsform wir daran teilhaben könnten. Es gibt jedoch einen florierenden Markt mit Berichten von Menschen, die einen Blick über die Schwelle geworfen haben wollen – in Momenten, die man gemeinhin als Nahtod-Erlebnisse bezeichnet und bei denen umstritten ist, ob es sich dabei nicht einfach um Illusionen unter Stress handelt.
Dass ausgerechnet Clint Eastwood nun einen Film über dieses Thema gemacht hat, wirkt einerseits überraschend, hat andererseits aber eine gewisse Logik: Denn der Hollywood-Außenseiter, der in diesem Jahr 80 wird, hat sich längst eine Position jenseits aller Genres und kommerziellen Kalkulationen erarbeitet, er kann sich in aller Ruhe mit dem beschäftigen, was ihm angelegen ist. Und die Geschichte von „Hereafter“, zu der Peter Morgan das Drehbuch geschrieben hat, hat auch ohne das Geistersehen eine Menge zu bieten: Protagonisten in Paris, London und San Francisco, eine geschickt eingefädelte Zusammenführung der Erzählstränge, einen spektakulären Auftakt mit dem ersten Versuch einer filmischen Darstellung des Tsunamis von 2002, und eine konstitutive innere Spannung, die zwischen der Begabung zum „medialen“ Kontakt nach drüben und der verständlichen Scheu vor diesen Phänomenen durchaus zuerst einmal an den Common Sense appelliert.
Die französische Starjournalistin Marie LeLay (Cécile De France) wird im Urlaub von der großen Welle erfasst, sie wird ohnmächtig, ertrinkt beinahe, und kehrt im allerletzten Moment ins Leben zurück – aber sie kommt über diese Erfahrung nicht hinweg. Statt eine kritische Biografie über den ehemaligen Präsidenten Mitterand zu schreiben, wie ihr Verleger dies erwartet, schreibt sie ein Buch über ihre Eindrücke vom Jenseits – „au-delà“ ist der französische Begriff, „hereafter“ der englische. Sie spricht darin von einer „Verschwörung des Schweigens“, der das kursierende Wissen oder Ahnen unterliegt, das dieses Tabuthema umgibt.
Anders liegt der Fall bei George (Matt Damon), einem Arbeiter in San Francisco. Ihm ist von einer traumatischen Kinderkrankheit ein Sensorium für die Toten geblieben, er ist ein Medium, der hört, was jenseits der großen Schwelle gesprochen wird. George empfindet diese Gabe als einen Fluch. Sein Bruder möchte sie gern geschäftlich verwerten, das erhöht die Reibung.
Hier wird schon deutlich, dass es in „Hereafter“ letztendlich immer wieder Hinterbliebene sind, die in ihrer Verzweiflung auch an das Außerordentliche glauben wollen. Marcus, ein Junge in London, der seinen Zwillingsbruder verloren hat, gibt dieser Verzweiflung das Gesicht eines stillen, bohrenden Protests gegen den Tod, der ihn schließlich – nachdem er in der zweiten spektakulären zeitgeschichtlichen Sequenz des Films beinahe selbst sein Leben verliert – auf die Spur von George bringt.
Charles Dickens geht voran
Dass dieser einfache und rechtschaffene Mann ausgerechnet auf den Spuren von Charles Dickens nach London kommt, ist typisch für den Bildungspopulismus, den Clint Eastwood in seinen Regiearbeiten immer wieder an den Tag legt. Er widmet sich, sofern er nicht zwischendurch eine kleine Genreübung absolviert, konsequent den großen Themen und letzten Fragen, er tut dies aber immer auf eine Weise, die zwar nicht ausdrücklich antiintellektuell, auf jeden Fall aber eher intuitiv ist. Das tastende Erfahrungsprinzip, das er zuletzt in „Gran Torino“ so großartig selbst verkörpert hatte, dominiert auch „Hereafter“, in dem es vor allem darum geht, nicht eigentlich das Jenseits, sondern das Schicksal – diese älteste erzählerische Idee – gegenüber der schnöden Kontingenz zu rehabilitieren.
Dass Eastwood hier eine „Verschwörung des Schweigens“ ausgerechnet mit Dickens aufbricht, deutet auf das zutiefst menschliche Motiv hin, von dem „Hereafter“ auch filmisch geprägt ist: auf den Wunsch, dass die Konventionen des Erzählens nicht am großen Finale versagen. Der Tod ist vielleicht kein Happy End, aber das Schweigen ist auch keine Lösung, und deswegen erzählt Eastwood einfach weiter, bis zu einem sehr ambivalenten Ende, in dem die Konvention vielleicht dann doch zu übermächtig wird.
■ „Hereafter – Das Leben danach“. Regie: Clint Eastwood. Mit Matt Damon, Cécile De France u. a. USA 2010, 128 Min.