Schikanen statt Hilfe für Langzeitarbeitslose

In Hamburg stieg die Zahl der Langzeitarbeitslosen trotz Wirtschaftsboom in einem Jahr um 28 Prozent auf 38.000. Während es an qualifizierter Weiterbildung fehlt, werden die Erwerbslosen zunehmend unter Druck gesetzt

Die schlechte Nachricht steht im Kleingedruckten. Während die Hamburger Agentur für Arbeit auf den ersten Seiten ihres Dezember-Monatsberichts den Rückgang der Arbeitslosenzahl im Jahr 2006 um über 11.000 Personen abfeiert, versteckt sich weiter hinten die Hiobsbotschaft. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist im gleichen Zeitraum um rekordverdächtige 27,9 Prozent gestiegen. Mittlerweile sind 44 Prozent aller Erwerbslosen mehr als ein Jahr auf der Suche nach einer Beschäftigung – insgesamt gut 38.000 Personen.

Damit wird klar: Immer mehr Menschen sind dauerhaft vom Arbeitsmarkt abgekoppelt – ohne Perspektive, aber auch ohne Hilfsangebote. Statt Qualifizierung und individueller Beratung erleben viele Arbeitssuchende, wie sie nur verwaltet und schikaniert werden, wenn sie nicht bereit sind, die teilweise rechtswidrigen Anforderungen ihrer Arbeitsberater zu erfüllen.

„Ich wurde im Jobcenter Altona von meiner Sachbearbeiterin gleich beim ersten Zusammentreffen massiv unter Druck gesetzt, eine Standardvereinbarung zu unterschreiben – ohne das es vorher überhaupt ein Vermittlungsgespräch gegeben hat“, berichtet Renate Schröder*. Als sie darum bat, das Papier vorher zu Hause prüfen zu können, wurde ihr das „kategorisch verweigert“. Aus Angst vor Sanktionen unterschrieb die 38-Jährige, obwohl von ihr in dem Standardformular unter Androhung von Leistungskürzungen Aktivitäten verlangt werden, die sie nicht erbringen kann. So muss sie trotz fehlendem Online-Zugang im Internet Stellen suchen, frühere Arbeitgeber kontaktieren, obwohl sie bislang nur freiberuflich gearbeitet hat, und einen privaten Arbeitsvermittler aufsuchen, obwohl ihr kein dafür notwendiger Vermittlungsgutschein ausgehändigt wurde.

„Solche Vorkommnisse sind kein Einzelfall“, klagt die Hamburger DGB-Sprecherin Claudia Falk. „Immer wieder“, weiß Wolfgang Joithe von der Erwerbsloseninitiative „Peng“, erhielten die Arbeitssuchenden statt individueller Eingliederungsvereinbarungen und Fördermaßnahmen nur Standardformulare, würde das vorgeschriebene „systematische Profiling“ samt „intensivem Beratungsgespräch“ und auch die gesetzlich verbriefte Bedenkzeit verwehrt.

Im Jobcenter Hamburg-Bramfeld wurden gar Erwerbslose gleich in Gruppen geladen und zur Unterzeichnung normierter Vereinbarungen gedrängt. Zudem, klagt Joithe, würden Arbeitssuchende „mit wenig Sprachkenntnis und wenig Bildung genötigt, Formulare zu unterschreiben, die sie nicht einmal verstehen“. „Wir können nur allen Erwerbslosen, die so etwas erlebt haben, dringend raten, solche Eingliederungsvereinbarungen sofort zu widerrufen und sich rechtliche Hilfe zu suchen“, rät deshalb DGB-Sprecherin Falk.

Während der Druck auf die Erwerbslosen wächst, bleibt Hilfe aus. Der SPD-Arbeitsmarktexperte Hans-Christoph Dees führt den galoppierenden Anstieg der Hamburger Langzeitarbeitslosen vor allem darauf zurück, dass „die Mittel in der Arbeitsmarktpolitik seit 2004 von rund 100 Millionen Euro auf 22 Millionen gekürzt worden“ seien, Hamburg auf „eine Monokultur von Ein-Euro-Jobs statt auf individuelle Förderung“ setze. „Die Weiterbildungslandschaft wurde hier in den vergangenen Jahren systematisch zerstört“, weiß Claudia Falk. Langzeitarbeitslose würden deshalb oftmals „nur noch verwahrt und verwaltet, aber kaum noch qualifiziert“.

MARCO CARINI

*Name geändert