Trost für gefallene Mädchen
In seinem Spielfilm „Princesas“ träumt Fernando León de Aranoa von Solidarität unter Huren – und will zugleich den Blick auf die Härten des Straßenlebens lenken
Mit großer Selbstverständlichkeit plaudern die Huren über ihr Metier – wie ein Bäcker übers Mehl
Die Huren, die sich nachmittags im Friseursalon irgendwo in Madrid entspannen, kennen sich aus mit den Gesetzen des Marktes. „Es gibt zu viel Angebot“, doziert eine eifrig. Das habe erst neulich der Wirtschaftsminister im Fernsehen gesagt. Und die Weiber vom Platz gegenüber sind eindeutig zu viel, sie versauen den Markt mit ihren Dumpingpreisen – so schimpfen und zetern die alteingesessenen Huren unter ihren Lockenwicklern und Trockenhauben. Wie die Neuen da lang stolzieren, als habe man ihnen etwas Unangenehmes in die Schuhe getan, damit der Hintern möglichst weit rausragt. Dazu ihr fremder Körpergeruch, „mit diesen Hormonen drin, die funktionieren wie ein Lockstoff. Wie ein tiefer Ausschnitt oder wie ein Tanga. Nur eben als Hormon“, sagt eine. Sie und ihre Kolleginnen sind sich einig. Die illegalen, anschaffenden Einwanderinnen auf der Plaza gegenüber sind eine wirtschaftliche Katastrophe und eine schamlose Provokation.
Und doch wird sich Caye (Candela Peña), die einheimische Sexarbeiterin, mit Zulema (Micaela Nevárez), der Konkurrenz aus der Dominikanischen Republik, anfreunden. Denn „Princesas“, der vierte abendfüllende Spielfilm des 38-jährigen Spaniers Fernando León de Aranoa, braucht das Märchen, um nicht an der Wirklichkeit zu verzweifeln. Ein Märchen für Prinzessinnen wie Zulema, die vor sich hin strahlen und schweben könnten, wären sie nur endlich in ihrem angestammten Königreich. Und nicht in diesem Loch in der Fremde, mit diesem Kerl, der sie windelweich prügelt und ihre Papiere nicht herausrückt. Und für robustere Thronanwärterinnen wie Caye, die sich mit zackigem Schritt ins Hotel begibt, weil sie Geld verdienen und bloß nicht so leben will wie die biedere Mutter. So tough sich Caye in ihrem Metier behauptet, so mädchenhaft klimpert sie mit den Augen, wenn sie nach ihrem Prinzen Ausschau hält. Treu soll er sein und sanft. Er soll sie abends von der Arbeit abholen, sich nach ihrem Tag erkundigen und warme Biederkeit in ihr liebloses Leben zaubern.
Zulema und Caye als traumschöne Solidargemeinschaft mitten im Dreck und Blut der Straße: Was für ein Zuckerwerk hätte das abgeben können. Doch Fernando León de Aranoa interessiert bei aller Liebe für die Eigenarten seiner Protagonistinnen vor allem die moderne Sklaverei in einer globalisierten Welt. Er geht dabei durchaus wie ein filmender Streetworker vor, der sich lange und behutsam mit dem Milieu vertraut gemacht hat. Kein Aktionismus und keine dramaturgischen Kniffe sollen das Authentische aufscheuchen. Kein unbedingter Stilwille, keine große künstlerische Ambition sollen sein Mitgefühl und sein intimes Wissen über Verletzungen und Sehnsüchte seiner Protagonistinnen verschleiern.
„Princesas“ tröstet seine gefallenen Mädchen mit dem Märchen, hält sie mit dem Traum von Verschwisterung und Erlösung bei der Stange und will doch selbst nichts weniger als die Wahrheit in der Reportage und der größtmöglichen Nähe finden. Das verengt den Fokus und bringt sich selbst vielleicht um den Zauber einer wirklich großen, universellen Kinoerzählung.
Seine schönsten und berührendsten Momente erlebt der Film im Situativen. Wenn er den Gesprächen der Huren lauscht, wenn er durch ihren Neid, ihre Gemeinheiten und aufrichtigen Sorgen den Dünkel einer katholischen Macho-Gesellschaft durchblitzen lässt. Die Selbstverständlichkeit, mit der seine Heldinnen übers Geschäft plaudern wie der Bäcker übers Mehl. Ihre aufgekratzte Heiterkeit, wenn sie sich einmal verknallen. Oder die bodenständigen Abhandlungen über Wirtschaft und Politik in der Frisierstube. Hier schafft der Film, dessen Hauptdarstellerinnen mit zwei Goyas (den spanischen Oscars) ausgezeichnet wurden, eine beeindruckende Lebensnähe, eine Heiterkeit und Dichte, die man sonst nur vom britischen Kino der Thatcher-Ära kennt. BIRGIT GLOMBITZA
„Princesas“. Regie: Fernando León de Aranoa. Mit Candela Peña, Micaela Nevárez u. a. Spanien/Frankreich 2005, 113 Min.