Jörn Kabisch über DAS GERICHT
: Mein Held, der Barista

Über die Lust am Scheitern oder warum manch Deutscher ein besserer Italiener sein will

Geschätzter Leser, wenn Sie noch immer Expresso sagen statt Espresso oder Crema für ein Dessert halten, dann können Sie sich ganz getrost einem anderen Artikel zuwenden. Sie verpassen nichts. Denn heute geht es um eine kulinarische Randsportart. Wir blicken in die Nische der baristi tedesci, übersetzt: der Koffeinisten aus deutschen Landen, die in der eigenen Küche einen Espresso herzustellen versuchen, wie man ihn in jeder italienischen Durchschnittsbar bekommt.

Der Deutsche hat zum Kaffee eine enge Beziehung: Durchschnittlich 144 Liter davon trinkt jeder von uns pro Jahr, 17 Liter mehr als Mineralwasser. Doch während der Italiener auf einen Jahresdurchschnitt von 800 Tassen des kleinen Schwarzen kommt, der südlich des Brenners einfach Caffè heißt, sind es in Deutschland pro Person gerade mal 50, also einen Espresso pro Woche – und dieser nur zu oft mit einem Viertelliter Milch zum Latte macchiato gestreckt.

Die Zahlen bestätigen: Deutschland ist, was Espresso angeht, noch immer Entwicklungsland. Doch es gibt eine wachsende Anzahl von Leuten, die sich nicht mit der Diaspora abfinden wollen. Es sind Menschen, die sich von deutschen Trinkgewohnheiten unabhängig machen und für einiges Geld in ihren Büros oder Küchen kleine, chromblitzende Kopien der Espressomaschinen aus der italienischen Gastronomie aufstellen. Nein, nicht diesen Nespresso-Kapsel-Firlefanz, sondern Siebträger- oder Handhebelmaschinen mit klingenden Markennamen wie Gaggia, La Pavoni, Saeco, Jura oder Faema. Sie alle sind auf der Suche nach der perfekten Crema. Sie sind notgedrungen Autodidakten auf dem langen, beschwerlichen Weg dorthin. Und sie sind meistens dazu verurteilt, zu scheitern. Ich darf das sagen, ich blicke selbst auf 15 Jahre zurück, in den höchst selten ein einwandfreier Caffè aus meiner Gaggia geronnen ist.

Schnell also ein Wort zur Crema, diesem alles entscheidenden braunen Häubchen, das sich nach dem Extrahieren auf dem Kaffee bilden sollte: genau genommen eine Emulsion der ätherischen Öle, die sich beim Rösten in den Kaffeebohnen bilden und von Lakritz bis Schokolade schmecken können. Für solch eine Crema bedarf es mehr als nur einer teuren Maschine. Im ersten halben Jahr nach der Anschaffung funktioniert, wenn überhaupt, noch alles ganz passabel. Dann aber löst sich die Crema entweder schon vor dem ersten Schluck in nichts auf oder dieser schmeckt – im schlimmsten Fall – ekelig nach kalter Asche. Nun ist die Not groß, und entweder wandert die Maschine in den Keller oder es beginnt eine leidenschaftliche Fehlersuche. Um es kurz zu machen: Es kann an allem liegen.

Doch dank des Internets haben sich die lange allein vor sich hin wurstelnden Jünger des Espressos mittlerweile zur Schicksalsgemeinschaft verschworen. In Foren wie bei Kaffee-Netz.de sind Fragen billig und gute Tipps nicht teuer. Wer mutig seine Maschine zerlegt hat und nun verzweifelt vor den Einzelteilen sitzt, findet genauso Hilfe wie Leute, die wissen wollen, was einen Espresso eigentlich genau vom Kaffee unterscheidet. Selbstredend, dass die baristi tedesci tagtäglich die Perfektionierung des Getränks diskutieren.

Die größten Connaisseure bedienen sich dabei längst der Sprache der Sommeliers und beschreiben wie beim Wein Säure, Körper und Abgang. So wie etwa der Nutzer „Espresso-Freak“, der mitteilt: „Ich trinke zur Zeit sehr gerne den Segafredo Extra Strong. Hat einen schönen schokoladigen Abgang und ist sehr würzig.“ An anderer Stelle wird die Marke Lucaffe so eingeordnet: „Feine Röstnoten in der Nase, voller Körper und kräftiger Geschmack, Säure und Bitterkeit zwar vorhanden, aber gut eingebunden. Zimtfarbene, sehr konsistente Crema. Prima!“

Um die Produktionsbedingungen dafür in der eigenen Küche zu schaffen, braucht man nicht nur viel Zeit und eine richtige Maschine, sondern auch das richtige Wasser. Der Kaffee sollte nicht zu fein und nicht zu grob gemahlen sein. Wärmen Sie auf jeden Fall die Tassen an, damit sich die Crema länger hält.

Fragen zur Crema? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH