: Finstere Typen im Taunus und andere Mordsfreunde
CRIME SCENE Nele Neuhaus ist ein grundsolides Erzähltalent von inspirierter Bodenständigkeit. Das macht sie zum neuen Bestsellerstar am Krimihimmel
Ihre Karriere erinnert an den märchenhaften Aufstieg der schwedischen Bestsellerautorin Liza Marklund, die ihren ersten Thriller gleichfalls im Selbstverlag herausbrachte und den Verkauf über Tankstellen betrieb. Nele Neuhaus, die ihre ersten Bücher als Book on Demand verlegen ließ, lagerte die gedruckten Exemplare ihrer Geschichten in der häuslichen Garage. Von dort trug sie sie höchstpersönlich in die Welt hinaus, brachte Stapel bei BuchhändlerInnen vorbei und packte Päckchen für diejenigen LeserInnen, die eines ihrer Bücher über Amazon bestellt hatten. Immerhin 10.000 Exemplare ihres dritten Romans, „Mordsfreunde“, hatte Nele Neuhaus auf diese arbeitsintensive Weise abgesetzt, bis Ullstein sie entdeckte und ihr ein Angebot machte. Man kann sicher sein, dass der Verlag das nie bereut hat, denn Neuhaus hat sich als sichere Bestsellerkandidatin erwiesen. Ihr letzter Roman, „Schneewittchen muss sterben“ (List Taschenbuch, 9,95 Euro), hatte es schon drei Tage nach Erscheinen unter die Top 20 der Spiegel-Bestsellerliste geschafft. Dort steht er, weit über ein halbes Jahr später, immer noch. Das ist erfreulich, denn angesichts des viel verkauften Ramsches, der die Händlerhitlisten dominiert, hebt das Neuhaus-Werk das allgemeine Niveau der Liste doch beträchtlich.
In „Schneewittchen muss sterben“ kommt ein junger Mann aus dem Gefängnis in sein hessisches Heimatdorf zurück. Zehn Jahre zuvor soll er, damals 20-jährig, seine Exfreundin umgebracht haben. Er hat seine Zeit abgesessen; doch an den Mord selbst kann er sich partout nicht erinnern. Die Dörfler empfangen ihn feindselig, mobben und bedrohen ihn und seinen alten Vater. Unterstützung findet er lediglich bei einer alten Schulfreundin, die inzwischen als Schauspielerin Karriere gemacht hat und in Frankfurt lebt. Seine einzige echte Freundin im Dorf aber ist ebenso Außenseiterin wie er: das Mädchen Amelie, das wegen Verhaltensauffälligkeiten aus Berlin in die Provinz zwangsverschickt wurde. Als auch Amelie eines Tages verschwindet, ist der Exknacki natürlich der perfekte Verdächtige.
„Schneewittchen muss sterben“ ist kein pittoresker Countrystyle-Whodunnit, sondern eine im Grunde ziemlich finstere Typentragödie mit Lokalbezug. Grundsolide, genau richtig spannende Krimikost, voller einfallsreicher Wendungen und nicht zuletzt: sehr gut erzählt. Ein handwerklich perfekter Pageturner – mitten aus dem Taunus. Es ist der vierte Band von Neuhaus’ Taunus-Krimi-Reihe. Streng genommen müsste man sie wohl in die Regionalkrimiliga einordnen, wenn damit nicht auch eine gewisse Abwertung impliziert wäre. Und Regionaltümelei liegt Neuhaus ohnehin fern; ihre Bücher spielen im Taunus ganz einfach, weil sie dort lebt. In ihrem Blog schreibt die Autorin über Hunde und Pferde. Und in diesem Frühjahr wird nicht nur der fünfte Taunus-Krimi erscheinen, sondern auch ein Buch für pferdeverrückte kleine Mädchen, wie Neuhaus selbst einmal eines war: „Elena – Ein Leben für Pferde“. Bereits als Teenager hatte die Autorin, wie sie auf ihrer Website erzählt, ein mehrere Schulhefte füllendes Werk mit ähnlichem Titel verfasst: „Jessica – Abenteuer im Reitstall“. Irgendwie schön. Es gibt wohl nur wenige Menschen, die sich ein Leben lang in ihren Interessen so treu bleiben. Man möchte gern glauben, dass Nele Neuhaus wirklich so ist: ein Traum von gelungener Bodenständigkeit. KATHARINA GRANZIN
■ Nele Neuhaus: „Schneewittchen muss sterben“. List Taschenbuch, Berlin 2010, 534 Seiten, 9,95 Euro