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Archiv-Artikel

Schwarzer Stern über Köln

Hier die Heilsgemeinschaft, da der Rest der Welt – das bestimmt sein Denken und Handeln

VON PASCAL BEUCKER

Joachim Meisner ist ein schwer beschäftigter Mann in diesen Tagen. Predigten zu Weihnachten und Silvester bescherten ihm in der Lokalpresse ebenso freundliche Berichte wie seine Aussendungsfeier für die Sternsinger am Dienstag. Und dann absolvierte der oberste Kölner Katholik gestern Abend auch noch als Premiere eine „jecke Messe“: ein Pontifikalamt im Hohen Dom zu Köln zum Start der diesjährigen Karnevalssession. Schließlich gehörten Karneval und Kirche zusammen. „Unser Brauchtum Kölner Karneval hat eine tiefe Beziehung zur Kirche“, erläuterte Festkomitee-Präsident Markus Ritterbach. So wie Militarismus und Kirche auch: Kommende Woche steht noch ein Soldatengottesdienst auf dem Programm.

So schnell kann‘s gehen: Keinen Monat ist es her, da schwappte noch eine Welle der Empörung über Meisner hinweg. Sein Verbot multireligiöser Schulgottesdienste erregte die Gemüter all derjenigen, die sich die römisch-katholische Kirche als eine modernere, aufgeklärtere und tolerantere Einrichtung schön zu träumen versuchen und durch Meisner mal wieder unsanft geweckt wurden. „Ich stehe im interreligiösen Miteinander dem Papst näher als Kardinal Meisner“, phantasierte nicht nur der christdemokratische Landesintegrationsminister Armin Laschet (CDU) – der es als früherer Chefredakteur der Kirchenzeitung für das Bistum Aachen eigentlich besser wissen müsste – von einer theologischen Differenz zwischen Meisner und dessen unfehlbaren Chef in Rom. „Voll daneben“ überschrieb die Westdeutsche Zeitung ihren Kommentar über die „schlimme theologische Fehlleistung“ Meisners. Er predige „das Trennende, er wirbt für das Teilende“, empörte sich die Süddeutsche Zeitung. Um nur aus zwei der unzähligen Zeitungsartikel zu zitieren, die sich kräftig über den „Unstern von Köln“ (SZ) erregten. Nur die Welt lobte „Meisners klare Worte“.

Für die ist der am ersten Weihnachtstag 1933 im damaligen Breslau geborene und nach dem Krieg im thüringischen Körner aufgewachsene Meisner seit langem berühmt und berüchtigt. Nach eine Banklehre trat er mit 17 Jahren 1951 in das Spätberufenenseminar Norbertuswerk bei Magdeburg ein und holte hier sein Abitur nach. Nach einem Studium der Philosophie und Theologie wurde Meisner Ende 1962 in Erfurt zum Priester geweiht. 1975 folgte die Ernennung zum Titularbischof von Vina und Weihbischof in Erfurt-Meiningen. Schließlich stieg er als Protegé des damaligen Papstes Wojtyla im Frühjahr 1980 zum Bischof von Berlin auf. Meisners bemerkenswert schlichtes Weltbild resultiert aus seiner Diaspora-Erfahrung in der kirchenfeindlichen, mehrheitlich protestantisch geprägten DDR: Hier die Heilsgemeinschaft, da der Rest der Welt – das bestimmt bis heute sein Denken und Handeln. Zwischentöne sind ihm fremd.

1989 wechselte er auf Geheiß Wojtylas und gegen heftigen Widerstand des Kölner Domkapitels von der Spree an den Rhein. Seitdem sonnt sich der für seine fanatischen Angriffe gegen Abtreibung und Homosexualität bekannte Rechtsausleger geradezu in der Aufregung, die seine wohl platzierten Provokationen stets von Neuem hervorrufen. „Ich kann missverstanden werden, das muss ich in Kauf nehmen. Aber ich werde wenigstens gehört“, lautet Meisners Credo.

Allerdings gibt es da nicht viel misszuverstehen. Beispielsweise in Bezug auf seinen instrumentellen – und dadurch erschreckend verharmlosenden – Umgang mit dem Nationalsozialismus. So verkündete die „Faust des Papstes“ (Bild) 1995, mit dem Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts „entartet die Kultur“. Schon die Nationalsozialisten hätten Kreuze aus Schulen verbannt: „Als sie ihr schauriges kreuzloses Werk begannen, stürzten sie die ganze Welt ins Unglück.“ 1998 verglich Meisner die Abtreibungspille RU 486 indirekt mit dem zum millionenfachen Judenmord benutzten Gas Zyklon B: RU 486 sei kein Medikament, sondern „ein chemisches Tötungsinstrument speziell für ungeborene Kinder“. Es habe schon einmal eine ähnliche Situation gegeben, „wo die Chemie eine Substanz konstruiert hat, die nur den Zweck hatte, eine vom Gesetzgeber umschriebene Personengruppe zu töten“. So seien in der Nazizeit „schlimmste Verbrechen durch den Einsatz chemischer Substanzen verübt worden“. Zuletzt sorgte Meisner Anfang 2005 für Proteste, als er in seiner Dreikönigstagspredigt Abtreibung in eine Reihe mit dem biblischen Kindermord sowie den Verbrechen Hitlers und Stalins gestellt hatte: „Wo der Mensch sich nicht relativieren oder eingrenzen lässt, dort verfehlt er sich immer am Leben: zuerst Herodes, der die Kinder von Bethlehem umbringen lässt, dann unter anderem Hitler und Stalin, die Millionen Menschen vernichten ließen, und heute, in unserer Zeit, werden ungeborene Kinder millionenfach umgebracht.“ Wenige Tage zuvor hatte der christliche Fundamentalist in seiner Silvesterpredigt Abtreibung sogar als einen „Tatbestand“ bezeichnet, „der wohl alle bisherigen Verbrechen der Menschheit in den Schatten stellt“ – also auch die Verbrechen des Nationalsozialismus.

Ein Missverständnis ist es einzig und allein zu glauben, der „Gotteskrieger vom Rhein“ (Spiegel) mit dem schlichten katholischen Weltbild sei nur eine nicht weiter erstzunehmende Randerscheinung in seiner Kirche. Das Gegenteil ist richtig – auch wenn Meisner in der Deutschen Bischofskonferenz mit ihrem moderaten Vorsitzenden Karl Lehmann bis heute als nicht mehrheitsfähig gilt. Denn die Zeiten, als Meisner und sein 2000 verstorbener Fuldaer Kollege Johannes Dyba hier noch als bizarr-orthodoxe Außenseiter weitgehend isoliert waren, sind längst vorbei. Die Kräfteverhältnisse haben sich dank der konsequenten Personalpolitik des Ratzinger-Vorgängers Wojtyla mit den Jahren gewandelt. Mittlerweile gilt Meisner als Anführer eines immer mächtiger werdenden rechten Flügels. Und mit dem Amtsantritt seines Freundes Joseph Ratzinger ist sein Einfluss weiter gewachsen. Denn keiner der bundesdeutschen Bischöfe repräsentiert die sterile Rückwärts-Theologie des Vatikans so konsequent, wie der 73-jährige Kleriker, der gegenüber jeglichen theologischen Modernisierungstendenzen immun erscheint: „Die Kirche muss mehr auf den Heiligen Geist als auf den Zeitgeist hören.“

Zudem steht Meisner einem nicht gerade unbedeutenden Bistum vor. Sein Sprengel erstreckt sich immerhin über eine Fläche von 6.181 Quadratkilometern, was fast einem Fünftel der Fläche Nordrhein-Westfalens entspricht. Es ragt mit seinem südlichen Teil bis nach Rheinland-Pfalz, im Norden über die Ruhr bis nach Essen-Kettwig. Im Osten begrenzen Radevormwald, Wipperfürth und Gummersbach sein Gebiet, im Westen Grevenbroich, Kerpen und Bad Münstereifel.

Mit seinen in rund 740 Pfarrgemeinden organisierten knapp 2,2 Millionen katholischen Schäfchen ist das Kölner Erzbistum die mitgliederstärkste deutsche Diözese. Es verfügt über das höchste Pro-Kopf-Aufkommen an Kirchensteuer in der Bundesrepublik, konkurriert mit Chicago um den Rang als reichste Diözese der Welt und steckt dabei mit einem jährlichen Haushaltsvolumen von rund 680 Millionen Euro den Vatikan locker in die Tasche.

„Die Kirche muss mehr auf den Heiligen Geist als auf den Zeitgeist hören“

Auch als Arbeitgeber darf die Katholische Kirche nicht unterschätzt werden: Immerhin rund 49.000 Menschen sind im Erzbistum über diverse Rechtsträger im kirchlichen Dienst beschäftigt. Allerdings wird nur der geringere Teil dieser Hauptamtlichen aus Kirchensteuermitteln bezahlt. So finanzieren sich etwa die Personalkosten der Caritas aus den Pflegesätzen und öffentlichen Zuschüssen. Auch für des Erzbischofs Gehalt muss nicht sein Verein aufkommen: Das an die Besoldung eines Staatssekretärs angelehnte Salär Meisners speist sich aus Landesmitteln.

Meisner regiert in Köln mit harter Hand. Der Kardinal lange immer dann besonders kräftig hin, wenn er Widerstand spüre, heißt es auch in den eigenen Reihen. Dabei schreckt er bisweilen auch vor unkonventionellen Mitteln nicht zurück. So verbot Meisner vor ein paar Jahren dem progressiven französischen Bischof Jacques Gaillot einen Auftritt im Bereich seines Erzbistums. Gaillot hatte in Bonn mit dem Paderborner Theologen Eugen Drewermann auf einer kirchenkritischen Veranstaltung über „Christsein im 3. Jahrtausend“ diskutieren wollen. Doch Meisner berief sich auf einen in Deutschland noch nie benutzten Paragrafen des katholischen Kirchenrechts, nach dem ein Ortsbischof einem ortsfremden Kollegen einen Auftritt untersagen kann, und teilte Gaillot schriftlich mit, dass „Ihre Anwesenheit für diesen Auftritt nicht erwünscht ist im Bistum“.

Noch knapp zwei Jahre, dann wird Meisner laut Kirchenrecht dem Papst seinen Rücktritt anbieten müssen. Denn dann absolviert das Oberhaupt der Kölner Katholiken seinen 75. Geburtstag. Ob Ratzinger ihn in den Ruhestand verabschiedet oder für weitere fünf Jahre auf dem Bischofsstuhl der Domstadt belässt, ist zumindest offiziell noch offen. In der Diözese ist das Hoffen auf eine Ablösung ihres unbeliebten Vorstehers groß. Namentlich zitieren lassen will sich jedoch niemand. Zu groß ist die Angst vor möglichen Konsequenzen. Über jedem, der nicht spurt, hänge das Damoklesschwert der Versetzung oder Kündigung, heißt es.

Wahrscheinlich ist es indes nicht, dass Benedikt XVI. seinen treuen Weggefährten schon Ende 2008 aufs Altenteil schicken wird. Trotzdem ordnet Meisner bereits jetzt die Verhältnisse in Köln, so dass die Geschicke des Erzbistums auch nach seinem möglichen Ausscheiden in seinem Sinne weiter geführt werden. Jüngstes Opfer seiner ideologisch geprägten Personalpolitik: Meisners langjähriger Pressesprecher Manfred Becker-Huberti. Im Urlaub erfuhr der 61-Jährige im vergangenen Jahr von seiner bevorstehenden Ablösung: aus einem Artikel im Kölner Stadt-Anzeiger. Nachdem der empörte Theologe seinem Dienstherrn mit rechtlichen Schritten drohte, entschied sich das Erzbistum für eine stille, aber kostspielige Abwicklung der Personalie. Becker-Huberti wurde freigestellt und erhält bis zum Erreichen der Altersgrenze in rund drei Jahren weiter die vollen Bezüge. Auf seinem bisherigen Posten als Leiter des Erzbischöflichen Presseamtes sitzt nun Stephan Georg Schmidt. Der Ex-Wirtschaftswoche-Redakteur hat zudem auch noch die Chefredaktion der von 64.000 Abonnenten gelesenen Kölner Kirchenzeitung von dem 78-jährigen Prälaten Erich Läufer übernommen. Die hervorragendste Qualifikation Schmidts: Der 43-jährige gebürtige Niederrheiner ist Mitglied des erzkonservativen katholischen Netzwerks Opus Dei. Nicht das einzige im Erzbistum.