Götter eines Deutschnationalen

TELL-HALAF-SCHAU In Berlin entstanden aus Bröseln wieder großartige Skulpturen. Ebenso interessant ist die Karriere ihres Entdeckers Max von Oppenheim

Oppenheim wollte einen „heiligen Krieg“ aller Muslime gegen Großbritannien

27.000 kleine und kleinste Basaltbrocken lagerten mehr als 50 Jahre lang fast vergessen in den Kellern des Berliner Pergamonmuseums. Es waren die durch Hitze- und Wassereinwirkung zerbröselten Reste gewaltiger Skulpturen aus dem Nahen Osten: entdeckt und ausgegraben durch den Orientforscher Max von Oppenheim um 1910, geborgen in den 1920er Jahren, später in einem eigenen Privatmuseum ausgestellt, das 1943 von Bomben getroffen in Schutt und Asche sank.

Ein kleiner Teil dieser archäologischen Splitter steht jetzt auf Paletten ziemlich am Anfang einer großen Ausstellung. 2.000 Brösel konnten die Restauratoren keiner der Steinfiguren zuordnen – nun liegen sie noch vor der großen Halle, in der die gewaltigen, fast 3.000 Jahre alten und tonnenschweren Skulpturen wiedererstanden sind. Neun Jahre lang dauerte eines der schwersten Puzzlespiele aller Zeiten.

Voller Stolz präsentieren die Mitarbeiter des Vorderasiatischen Museums ihre gigantische Klebearbeit, die auch deshalb überzeugt, weil man der Versuchung widerstanden hat, die überlebensgroße „thronende Göttin“ mit ihren langen Zöpfen so zu kaschieren, dass das Zerstörungswerk nicht mehr sichtbar wäre. Nein, diese Sphinxe, Löwen und Basaltplatten aus Tell Halaf, einem gottverlassenen Nest in Nordsyrien, bestehen aus Bruchstücken, und das sieht man ihnen auch an. So faszinieren „Die geretteten Götter von Tell Halaf“, so der Titel der Schau, erst recht.

Die Person des Ausgräbers Max von Oppenheim fasziniert beinahe noch mehr als seine Funde. 1860 als Sohn des Bankiers Albert Oppenheim und seiner Frau Paula geboren, entwickelte der Junge nach der Lektüre von „Tausendundeiner Nacht“ sein lebenslanges Interesse für den Orient. Trotz hinhaltenden Widerstands des Vaters macht er sich nach einem erzwungenen Jurastudium auf den Weg in den Orient, lernt Arabisch, lebt arabisch – mit einer dem Stande entsprechenden Dienerschaft – und avanciert zum Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Kairo.

Er berät die Planer der Bagdadbahn, sammelt zehntausende Bücher über den Orient und eine Unzahl entsprechender Haushaltsgegenstände. Doch der Aufstieg in die Höhen des diplomatischen Dienstes gelingt ihm nicht, denn Oppenheims Vater ist zwar Katholik, aber gebürtiger Jude, und das sieht man in der Berliner Wilhelmstraße nicht gern.

So ist Oppenheims Entdeckung in Tell Halaf quasi dem Auswärtigen Amt geschuldet, dass ihn nicht weiterbeschäftigte – da erst wird der Mann zum Archäologen.

Deutsch bis in die Knochen bleibt Oppenheim dennoch bis zum seinem Tod im Jahre 1946. Im Ersten Weltkrieg treibt er im Auftrag des Kaisers Pläne zu einem von Deutschland und der Türkei angeleiteten „heiligen Krieg“ aller Muslime gegen Großbritannien voran. Und noch 1940, die Nazis sind schon sieben Jahre an der Macht und treiben die deutschen Juden mit Mord und Brandstiftung aus ihrer Heimat, bietet der überzeugte Monarchist dem Auswärtigen Amt seine Hilfe beim Kampf gegen die Briten im Nahen Osten an. Als „Halbjude“ im Sinne der Nazigesetzgebung entkommt der verarmte Oppenheim dem Holocaust nur dank alter Fürsprecher.

Doch davon ist in der Schau der „geretteten Götter“ leider nur im Katalog die Rede. KLAUS HILLENBRAND

■ „Die geretteten Götter von Tell Halaf“. Ausstellung im Pergamonmuseum, Berlin. Bis 14. 8. 2011