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Archiv-Artikel

Nötigung in Ausübung seiner Amtsverpflichtungen

ITALIEN Silvio Berlusconi fallen immer neue Kniffe ein, um den Prozess gegen sich zu verzögern

Bis zum Prozessbeginn in Mailand können noch etliche Monate vergehen

ROM taz | Das eigene Verfahren nach Kräften verzögern und zugleich die Staatsanwälte mit Schlamm bewerfen: dies ist Silvio Berlusconis Verteidigungsstrategie gegen die Mailänder Justiz, die ihm Sex mit Minderjährigen sowie Nötigung vorwirft. Zugleich aber wird die Liste der noch nicht volljährigen Mädchen, die bei „Papi“ Silvio ein und aus gingen, länger.

Am Donnerstag vollzogen die Abgeordneten der Berlusconi-Koalition im Immunitätsausschuss des Abgeordnetenhauses einen kühnen Schwenk. Mit ihrer Mehrheit setzten sie einen Beschluss durch, wonach das Mailänder Gericht gar nicht zuständig sei. Der Fall Berlusconi müsse stattdessen vor dem „Ministertribunal“ verhandelt werden – einer extra per Losverfahren zu bestimmenden Kammer. Der Grund dafür sei, dass Berlusconi die ihm vorgeworfene Nötigung in Ausübung seiner Dienstpflichten begangen habe.

Dabei geht es um die Anrufe des Ministerpräsidenten im Mailänder Polizeipräsidium mitten in der Nacht vom 27. auf den 28. Mai 2010, als er die 17-jährige, wegen Diebstahlsverdachts festgenommene „Ruby“ mit der abenteuerlichen Argumentation herauspaukte, das Mädchen sei „die Nichte von Mubarak“. Berlusconis Abgeordnete erklärten jetzt, er habe diese Räuberpistole ernsthaft geglaubt. Es sei ihm also nicht darum gegangen, möglichen Schaden von sich abzuwenden – Ruby war im Frühjahr 2010 insgesamt achtmal auf Silvios freizügigen Feten –, sondern darum, „einen internationalen Zwischenfall mit unvorstellbaren Konsequenzen“ zu verhindern.

Verhindert wäre aber erst einmal vor allem die Durchführung des eigentlich schon für März in Mailand geplanten Prozesses. Denn erst muss das Verfassungsgericht darüber befinden, welches Gericht nun zuständig ist. Das wiederum kann Monate dauern; ein Prozess vor der Sommerpause wäre so ausgeschlossen.

Damit würde auch die Tatsache zweitrangig, dass immer neue Beweise, unappetitliche Abhörprotokolle und Zeuginnenaussagen bekannt werden. Sicher ist mittlerweile: Auch ein zweites Mädchen hielt sich vor ihrem 18. Geburtstag mindestens zweimal in Berlusconis Villen auf. Für Berlusconis Anwälte bleibt diese Tatsache ebenso wie die recht ungeschminkten Auskünfte diverser Mädchen aber „purer Klatsch“.

Berlusconi war überzeugt davon, „Ruby“ sei eine Nichte Husni Mubaraks

Und Berlusconis Medien antworten mit den mittlerweile gewohnten Schmutzkampagnen. Am Donnerstag zog die Tageszeitung Il Giornale eine 30 Jahre alte Geschichte gegen die Staatsanwältin Ilda Boccassini heraus. Schier Unglaubliches berichtet die Zeitung. Die Juristin hatte einen Verlobten, der für die linksradikale Zeitung Lotta Continua schrieb, ja schlimmer noch: Sie küsste ihn auf offener Straße, sie saß einmal gar auf seinem Schoß. Ein Disziplinarverfahren gegen sie wurde zwar damals sofort eingestellt. Aber die Berlusconi-Fans werden auch heute noch ihr Verhalten weit skandalöser finden als das ihres unersättlichen Regierungschefs. MICHAEL BRAUN