: Aus Langeweile auf einer Nazi-Demo
Ein 26-Jähriger hängt in seiner Wohnung Hakenkreuzfahnen auf und sammelt T-Shirts, CDs und 200 Nazi-Aufkleber. Der Angeklagte bereut, doch Richter und Staatsanwalt glauben ihm nicht und verurteilen ihn zu 900 Euro Geldstrafe
In der eigenen Wohnung kann man alles aufhängen, was man will. Na ja, fast alles. Im Saal 820 des Kriminalgerichts Moabit stand gestern ein 26-Jähriger vor Gericht, dem vorgeworfen wird, Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen in seiner Wohnung gelagert zu haben. An seiner Zimmerdecke hing die Reichskriegsflagge mit Hakenkreuz und Eisernem Kreuz. Seine Privatsache? Nur solange es niemand sieht, meinte das Gericht und verurteilte ihn zu 900 Euro Geldstrafe.
Schon 2005 bemerkte eine aufmerksame Nachbarin die Fahne mit dem verfassungsfeindlichen Zeichen. Abends, wenn sie nach Hause kam und bei dem Angeklagten im zweiten Stock das Licht brannte, konnte die 72-Jährige die Fahne und das Symbol deutlich erkennen. Nachdem sie die Polizei verständigt hatte, folgte im Mai 2006 eine Wohnungsdurchsuchung. Neben Fahnen konnten T-Shirts mit rechten Parolen, Nazi-Publikationen und CDs rechter Bands sichergestellt werden. Außerdem 199 Aufkleber mit Aufschriften wie „Ausländer raus“, „Judentyrannei brechen“ und „NS-Verbot aufheben“.
Der Lebenslauf des Mannes bestätigt das Klischee einer gescheiterten Existenz: Nach dem Hauptschulabschluss hat er eine Ausbildung zum Bürokaufmann angefangen, ein Jahr später wieder abgebrochen und sich mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen. Seitdem er aus einer weiteren Ausbildung gekündigt wurde, bezieht er Arbeitslosenhilfe und seit Anfang 2005 ALG II. Zudem ist er aufgrund angehäufter Schulden seit einem Jahr in der Privatinsolvenz.
In dem dunkel getäfelten Gerichtssaal wirkt der schmächtige junge Mann mit den an der Seite kurz geschorenen Haaren ziemlich verloren. Richter und Staatsanwalt sind ihm verbal weit überlegen, seine leise Stimme wird fast vom monotonen Summen der Heizung übertönt. Von seiner Zugehörigkeit zur rechten Szene spricht er immer in der Vergangenheit. Früher sei er rechts gewesen, habe aber aufgrund der Anklage seine politische Gesinnung überdacht.
Seine Teilnahme an einer NPD-Demo vor wenigen Monaten, bei der sein Handy mit einem Hakenkreuz auf dem Display beschlagnahmt wurde, versucht er abzutun. Er habe Langeweile gehabt und einfach nicht nachgedacht. Auf die Frage, warum er so viele Nazi-Sticker besaß, antwortet er: „Ich habe damals generell Aufkleber gesammelt und fand das faszinierend.“ Verteilen wollen habe er die Spuckis nie. Was er so faszinierend an den Parolen und der rechten Szene fand, scheint er auch nicht so genau zu wissen. Zumindest kann er es nicht in Worte fassen.
Sowohl der Richter als auch der Staatsanwalt zweifeln an seinem Gesinnungswandel und warnen: Ein weiterer Prozess würde nicht so glimpflich ausgehen. Seine Geldstrafe darf der Angeklagte in monatlichen Raten abstottern. Sein letztes Wort: „Es tut mir leid, ich habe daraus gelernt.“ Sicher. Seine Nazi-T-Shirts müsse er allerdings weiter tragen, weil ihm das Geld für neue fehle. Um sich nicht mehr strafbar zu machen, will er sie nur noch unter Pullovern tragen. Die Sticker kommen dann wohl in die Schublade. NANA GERRITZEN