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Archiv-Artikel

GEHT’S NOCH? Ihr für euch

DER MARBURGER BUND GERIERT SICH ALS GEWERKSCHAFT – UND UNTERGRÄBT DABEI ALLES, WOFÜR GEWERKSCHAFTEN STEHEN

Vielleicht wäre meine Tochter jetzt schon da. In der zurückliegenden Woche hatten meine Freundin und ich einen Termin in der Klinik. Das Baby liegt falsch, hat sich nicht gedreht. Beckenendlage. Genauer: Steiß-Fuß-Lage. Es ist kompliziert. Die angewinkelten Beine und der Po sind unten. Nicht der Kopf. Deshalb die Untersuchung mit möglicher anschließender Geburtseinleitung.

Mein Kind ist noch nicht da. Danke, Marburger Bund. Die Ärzte-„Gewerkschaft“ bestreikt einige Berliner Kliniken. Termin abgesagt. Mein Kind muss warten. Die Mutter auch. Ich auch.

Bestimmt haben die Ärztinnen und Ärzte ganz berechtigte Interessen im Tarifstreit. Die MedizinerInnen haben immer ganz berechtigte Interessen. Sie sind so berechtigt, dass Schwestern, Pfleger und Hebammen an der Durchsetzung dieser Interessen nicht partizipieren dürfen. Das niedere Krankenhausvolk soll nicht mitfechten bei den Turnieren des höheren Standes. Es ist schon eine beachtliche Leistung, sich als Gewerkschaft zu gerieren und gleichzeitig das Fundament des Gewerkschaftsgedankens – dass die Starken die Schwachen mitziehen, um gemeinsam den Arbeitgebern das Geld aus der Tasche zu leiern – mit Presslufthämmern zu zerstören.

Natürlich sieht es der Ärztelobbyverband als „Frontalangriff auf unsere gewerkschaftliche Existenz“ an, dass das Arbeitsministerium nun erwägt, die Macht von Marburger Bund, Cockpit (Piloten) und GdL (Lokführer) zu beschränken. Die mitgliederstärksten Gewerkschaften in Betrieben sollen laut einem Papier aus Andrea Nahles’ Ministerium Tarifabschlüsse fixieren können, die die Vereinbarungen der kleineren Gewerkschaften verdrängten. Es wäre de facto ein Zurück zum alten Grundsatz: Ein Betrieb – eine Gewerkschaft.

Wenn das durchkommt, „haben wir in Deutschland ein Zweiklassenrecht für Gewerkschaften“, jammert der Marburger Bund.

Das will er natürlich auf gar keinen Fall. Er will lieber eine Zweiklassengesellschaft – gerne auch in einem Betrieb. JÜRN KRUSE