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Archiv-Artikel

Einzig wahre Muslima

Die Autobiografie von Ayaan Hirsi Ali offenbart, wie die niederländische Politikerin vom islamischen zum westlichen Fundamentalismus stolperte

VON DANIEL BAX

Mohammed nannte sie einen „Perversen“, den Islam eine Religion der Gewalt und die Einwanderung von Muslimen eine Gefahr für Europa: Schrille Sprüche machten Ayaan Hirsi Ali berühmt. Ansonsten aber weiß man außerhalb der Niederlande recht wenig über diese 37-Jährige, die den einen als „Frauenrechtlerin“, den anderen als „Fundamentalistin der Aufklärung“ gilt. Was treibt Hirsi Ali in ihrem Innersten an?

In ihrer Autobiografie versucht sie eine Antwort darauf zu geben. Das Buch gliedert sich in zwei Teile: Die erste Hälfte, mit „Mein Leben“ überschrieben, handelt von den Stationen ihrer abenteuerlichen Kindheit und Jugend zwischen Somalia, Saudi-Arabien, Äthiopien und Kenia. Im zweiten Teil, „meine Freiheit“, beschreibt sie ihre politische Blitzkarriere in den Niederlanden.

Das Sendungsbewusstsein wurde Hirsi Ali schon in die Wiege gelegt: Der Vater, ein prominenter Oppositioneller, bekämpfte Somalias kommunistische Diktatur und ging dafür ins Exil. Die Familie folgte ihm 1978 und musste oft jahrelang ohne ihn auskommen. Dass Hirsi Ali auch intimste Dinge preisgibt, nötigt Respekt ab: So schildert sie etwa ihre Beschneidung, die ihre Großmutter in Abwesenheit der Eltern und gegen deren Willen anordnete. Was ihre Biografie von anderen Bestseller-Biografien afrikanischer Frauen mit Titeln wie „Feuerherz“ oder „Wüstenblume“ unterscheidet, ist aber die Tatsache, dass Ayaan Hirsi Ali eine Politikerin ist. So sucht man nach Hinweisen auf die Evolution ihres politischen Denkens und wird an überraschender Stelle fündig.

Packend beschreibt Ayaan Hirsi Ali, wie sie mit 16 Jahren in den Bann einer Religionslehrerin namens Schwester Aziza gerät, die einen schwarzen Ganzkörperschleier trägt und das Mädchen auf den Weg des „wahren Islam“ führt. Bald zählt Hirsi Ali zu den ersten, die sich an ihrer Mädchenschule in Kenia verhüllten. „Seltsamerweise gab mir der Umhang das Gefühl, ein Individuum zu sein“, schreibt sie. „Er vermittelte eine Botschaft der Überlegenheit: Ich war die einzige wahre Muslima.“ Selten fand man die Verlockung des Fundamentalismus einfühlsamer beschrieben. Etwas von diesem missionarischen Eifer hat sich Hirsi Ali bis heute bewahrt. Allerdings hat sie die Parole der Muslimbrüder – „Der Islam ist die Lösung“ – inzwischen in ihr Gegenteil verkehrt: Der Islam ist für sie nun „das Problem“ schlechthin.

Zum Wendepunkt wird 1992 ihre Flucht vor einer Ehe, die ihr Vater für sie arrangiert hat: Einen Zwischenstopp auf dem Flughafen in Frankfurt nutzt sie, um sich in ein Flüchtlingslager in den Niederlanden abzusetzen. Sie beantragt Asyl und zieht das große Los, als sie ein unbeschränktes Aufenthaltsrecht bekommt – allerdings aufgrund einer Lügengeschichte, die sie um den Bürgerkrieg in Somalia spinnt.

Viele Flüchtlinge geraten im Exil in eine Identitätskrise. Ihre eigene Schwester, die Hirsi Ali in die Niederlande folgt, verzweifelt so sehr, dass sie den Verstand verliert. Hirsi Ali dagegen findet Trost und Kraft in ihrem neuen Glauben an „den Westen“. Mitte der Neunzigerjahre beginnt sie, Politik zu studieren und als Dolmetscherin zu arbeiten. Auf Polizeirevieren und in Frauenhäusern trifft sie auf türkische und marokkanische Migranten, fast nie auf einheimische Niederländer. Warum haben vor allem Zuwanderer solche Probleme, fragt sich Hirsi Ali und ist bald überzeugt: Es muss an ihrer Religion liegen. Warum, wird nicht so recht klar: Zu anderen Migranten hat sie keinen persönlichen Kontakt, fällt aber harte Urteile über sie. Während sich ihre Kindheitserinnerungen lebendig und plastisch lesen, wirken ihre politischen Thesen angelesen und abstrakt.

Ihr politisches Coming-out erlebt Hirsi Ali mit Leserbriefen an holländische Zeitungen, der 11. September wird zu ihrem Erweckungserlebnis: Für eine konservative Zeitung schreibt sie einen Artikel, in dem sie mit dem Islam abrechnet, und bekommt viel zustimmende Post von Leuten, die nach solchen einfachen Antworten dürsten. Bald wird sie zu Talkshows eingeladen und beginnt sich selbst für jenen „Voltaire des Islam“ zu halten, als den sie manche bezeichnen.

Nach dem Mord an Pim Fortuyn wird sie von der rechtsliberalen VVD umworben und zieht als deren Abgeordnete im Januar 2003 ins Parlament in Den Haag ein. Bis dahin gründet ihr Image vor allem auf ihrem Medienruhm als Vorzeigekonvertitin fürs konservative Establishment. Die Zustimmung muslimischer Frauen, denen sie angeblich helfen will, hält sich dagegen in eher engen Grenzen – wie sie selbst im Buch zugibt.

Ihr politisches Profil schärft sie mit populistischen Forderungen, etwa nach der Schließung muslimischer Schulen. Die Parlamentsarbeit scheint ihr weniger zu liegen, in ihrer Biografie erfährt man darüber auffällig wenig. Ärgerlicher sind andere Auslassungen: So unterschlägt Hirsi Ali, dass sie die rigide Abschiebepolitik ihrer Parteikollegin Rita Verdonk so lange unterstützt hat, bis sie selbst davon betroffen war und ausgebürgert werden sollte. Dafür erfährt man anderes: So ist Hirsi Ali überzeugt, dass der Mord an Theo van Gogh, mit dem sie den Film „Submission“ drehte, hätte verhindert werden können. Doch Theo van Gogh schlug alle Warnungen in den Wind. Nach dem Attentat auf ihn im Herbst 2004 herrscht in Holland Hysterie: Für 75 Tage wird Hirsi Ali von der Polizei versteckt und außer Landes geschafft – eine Überreaktion, wie sie selbst heute meint.

Inzwischen ist Hirsi Ali an einen neokonservativen Thinktank in die USA gewechselt. Ihre Biografie zeigt, wie begrenzt die empirische Grundlage für ihre holzschnittartigen Behauptungen ist: „Das Denken, das mir in Saudi-Arabien und innerhalb der Muslimbruderschaften in Kenia und Somalia begegnete, ist unvereinbar mit Menschenrechten und freiheitlichen Grundwerten“, schreibt sie. Das mag sein. Das Problem ist nur, dass Hirsi Ali allen Muslimen dieser Welt solch fundamentalistisches Gedankengut unterstellt.

Ayaan Hirsi Ali: „Mein Leben, meine Freiheit. Die Autobiographie“. Aus dem Englischen von Anne Emmert, Heike Schlatterer. Piper Verlag, München 2006, 496 Seiten, 19,90 Euro