Nach dem Aufstieg aus der Bierdosenliga

ABRÄUMER Popstars und Punkband zugleich zu sein – das ist echt schwer. Aber die Beatsteaks kriegen das hin. „Boombox“ heißt das neue Album der Berliner Band um den Frontmann mit Hütchen, Arnim Teutoburg-Weiß

Mal klingen sie wie die frühen Talking Heads, dann wie die späten Clash. Hits gibt es auch

VON THOMAS WINKLER

Bill Kaulitz tut ihm dann doch ein bisschen leid. Eine Zeit lang hat Arnim Teutoburg-Weiß eine Ahnung davon bekommen, wie sich das anfühlt, wenn man ein Star ist, den die Mädchen für einen scharfen Typen halten. Inzwischen aber stellt der Sänger fest, dass er und seine Band „der totalen Teenie-Hysterie zum Glück wieder entflohen“ sind. Seine Band, das sind die Beatsteaks. Und die sind schon länger und immer noch: ziemlich groß.

Als Headliner touren sie durch die großen Hallen, ab und an wird ihnen eine goldene Schallplatte verliehen. Ansonsten: Obstplatten auf den Couchtischen jener mittel- bis höherklassigen Hotelsuiten, in denen die Band zu Interviews empfängt und versichern darf, dass man bei den Aufnahmen zum neuen Album, „Boombox“, an alles Mögliche gedacht habe, aber ganz bestimmt nicht daran, sich vom bisherigen Erfolg unter Erwartungsdruck setzen zu lassen.

Als die Beatsteaks vor fast sieben Jahren ihr viertes Album, „Smack Smash“, herausbrachten, profitierten sie vom damals grassierenden Punk-Revival, das Bands wie Green Day, The Offspring oder sogar Rancid aus der Bierdosenliga an die Champagnertröge des Popgeschäfts beförderte. Die Beatsteaks räumten bei den Sommerfestivals ab, „Smack Smash“ wurde unerwartet zu einem Riesenerfolg und stieg bis auf Platz 11 der deutschen Charts. MTV, damals noch ein Musiksender, strahlte pausenlos die Videoclips zu den beiden eingängigen Singles „Hand in Hand“ und „I Don’t Care as Long as You Sing“ in die Welt. Und schließlich kürte der Sender die Beatsteaks, eben noch irgendeine Berliner Punkband, zum „Best German Act“.

Die Beatsteaks waren eine große Nummer und füllten die Wuhlheide mit 17.000 Menschen. „Der Sommer 2004“, erinnert sich Teutoburg-Weiß, „da hat halt alles gepasst. Das war das beste Jahr meines Lebens.“ Der Sänger wurde auf der Straße von kreischenden Mädchen erkannt. Das Hütchen, das er immer trägt, wurde zum Markenzeichen. Seitdem sind die Beatsteaks damit beschäftigt, diesen Status zu erhalten, ohne das in Punkkreisen vernichtende Label „Star“ aufgedrückt zu bekommen.

Das gelingt ihnen vor allem dadurch, dass sie allzu weit führende intellektuelle Auseinandersetzungen mit dem eigenen Schaffen standhaft verweigern und lieber davon erzählen, wie sie mal die Scorpions getroffen haben, aber das dann nur in einem ausgesprochen ironischen Tonfall. Die Beatsteaks achten sehr darauf, dass der Abstand zwischen ihnen und ihrem Publikum nicht allzu groß gerät. „Ich kann die Beschreibung ‚bodenständig‘ nicht mehr hören“, sagt Schlagzeuger Thomas Götz, „aber wir stellen uns eben nicht auf einen Sockel. Bei uns ist das nicht so: Da oben ist der Rockstar und da unten die Meute.“

Für das Gelingen dieser Strategie nicht ganz unerheblich: die gute alte, harte Arbeit. Die Beatsteaks haben sich in den langen Jahren vor dem Erfolg, auf der Ochsentour durch die kleinen Clubs einen Ruf als formidable Liveband erspielt. Darauf sind sie stolz, das merkt man ihnen an. Noch stolzer sind sie nur darauf, dass sie diesen Ruf auch auf den großen Bühnen wahren konnten.

Bislang allerdings hatte diese Band allzu oft Probleme, ihre Bühnenqualitäten auch im Studio einzufangen. Produzent Moses Schneider, zu dem in den vergangenen Jahren die halbe deutsche Rockszene von Tocotronic über Kettcar bis zu den Fehlfarben gepilgert ist, hat deswegen mit den Beatsteaks zusammen seine typische, aber außergewöhnliche Aufnahmetechnik entwickelt. Die Songs werden im Übungsraum einstudiert und dann live im Studio in wenigen Takes eingespielt, während Schneider, der mittlerweile den Ehrennamen „der sechste Beatsteak“ trägt, mitten zwischen den Musikern steht und sie dirigiert. Für „Boombox“ haben Schneider und die Beatsteaks diesmal sogar das Studio fahren lassen und gleich im Probenraum aufgenommen, um, so Teutoburg-Weiß, „die Energie da einzufangen, wo sie entsteht“.

Es ist gelungen. „Boombox“ ist ein ungemein lebendiges Album geworden, das aber nicht nur von roher Kraft lebt, sondern auch von einem musikalischen Reichtum, wie man ihn von den Beatsteaks bislang noch nie gehört hat. Mal klingen sie wie die frühen Talking Heads, dann wie die späten Clash, mal würdigen sie ihre erklärten Helden Bad Brains, mal verirren sie sich sogar in pompösem Art-Rock. Einige potenzielle Hit sind auch wieder zu finden, natürlich auch die obligatorischen Ausflüge in den Ska, aber auch sehr vorsichtige Experimente mit elektronischen Beats.

Ein gutes Album sicherlich, aber auch ausreichend sperrig, um die Teenager wieder auf Abstand zu halten. Nicht dass Arnim Teutoburg-Weiß den Sommer 2004 nicht auch ein wenig vermissen würde. „Ich bin auch gerne ein bisschen Popstar“, grient er unter seinem Hütchen hervor. Muss ja nicht gleich so groß wie Bill Kaulitz sein.

■ Das neue Album, „Boombox“, ist bei Warner erschienen. Live werden die Beatsteaks am 10. und 11. Juni in der Wuhlheide zu sehen sein