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Archiv-Artikel

Schäubles heimlicher Verbündeter

Der SPD-Politiker Wiefelspütz gibt sich im Duell mit dem Innenminister als Hüter der Verfassung. Dabei will auch er die Bundeswehr gegen Terroristen einsetzen

FREIBURG taz ■ Dieter Wiefelspütz balanciert auf einem schmalen Grad. Eigentlich ist der SPD-Abgeordnete aus dem Ruhrgebiet im Moment der große Gegenspieler von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Als innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion geißelt er Schäubles Pläne einer Grundgesetzänderung, nach der die Bundeswehr künftig auch gegen terroristische Angriffe eingesetzt werden soll: „Wir werden auf keinen Fall einer Verfassungsänderung zustimmen, die so etwas einführen sollte.“ Andererseits ist er mit Schäuble ganz einer Meinung, wenn es darum geht, die Schranken zwischen innerer und äußerer Sicherheit einzureißen.

Denn auch der SPD-Mann will schwere grenzüberschreitende Terroranschläge „wie einen militärischen Angriff“ behandeln. Der entscheidende Unterschied: Schäuble will deshalb die Verfassung ändern, Wiefelspütz hält das für unnötig. Er stuft die Abwehr derartiger Terroranschläge als „Landesverteidigung“ ein – und dafür ist die Bundeswehr heute schon zuständig. Deshalb kann er sich leicht Schäubles Plänen verweigern.

Wiefelspütz’ Doppelspiel

Das Doppelspiel von Wiefelspütz, der schon seit 1998 innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion ist, dürfte bei den Genossen noch für erhebliche Irritationen sorgen. Denn auf Parteilinie ist ihr Vordenker nur, solange er Schäuble kritisieren kann. Wird er nach seiner eigenen Position gefragt, muss er einräumen, dass es noch gehörigen Diskussionsbedarf mit der SPD gibt. „Die Partei versteht das noch nicht“, sagt Wiefelspütz dazu. Für ihn ist klar, dass sich die SPD bewegen muss – denn: „So wie ich durchdringt das keiner.“

Wiefelspütz sieht sich nicht nur als Politiker, sondern auch als Wissenschaftler. Ständig schreibt er Aufsätze und Bücher zu den verfassungsrechtlichen Fragen rund um die Bundeswehr. Und was vor allem beeindruckt: Er schreibt alles selbst – in der Freizeit. Sein neustes Werk heißt „Die Abwehr terroristischer Anschläge und das Grundgesetz“ und soll demnächst als wissenschaftliches Fachbuch erscheinen. In dem 113-seitigen Werk, das der taz vorliegt, leitet Wiefelspütz her, warum die Bundeswehr weiterhin ein als Angriffswaffe missbrauchtes Flugzeug abschießen darf – „selbst wenn sich an Bord unschuldige Zivilpersonen befinden“.

Auf den ersten Blick widerspricht dies zwar dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar letzten Jahres. Damals hatte Karlsruhe den Abschuss von Flugzeugen verboten, wenn unbeteiligte Passagiere an Bord sind. Wiefelspütz sieht darin aber kein Problem. Er lobt kurz das Urteil und schiebt es dann zur Seite, weil es sich nur mit „nichtkriegerischen“ Luftzwischenfällen beschäftige.

Der Sozialdemokrat sieht Angriffe wie den vom 11. 9. 2001 dagegen als „kriegerischen terroristischen Luftzwischenfall“. Dementsprechend hält er auch eine „veränderte Interpretation des Begriffs der Verteidigung“ im Grundgesetz für notwendig. „Der Begriff Verteidigung ist nicht auf die Bekämpfung des Angriffs einer regulären staatlichen Armee beschränkt“, schreibt der ehemalige Richter. Für ihn ist es „ohne Bedeutung, von wem die Gefahren oder der Angriff“ ausgehen. Verteidigung ist für Wiefelspütz der Schutz des Staatsgebietes und seiner Bürger, wenn „polizeiliches Handeln erkennbar nicht für die Gefahrenabwehr ausreicht“.

Bundeswehr schussbereit

Das heißt: Die Bundeswehr könnte im Innern stets eingesetzt werden, wenn sie gebraucht wird und der Terror irgendwie von außen kommt, zum Beispiel weil die „Hintermänner“ von Anschlägen im Ausland sitzen. Damit wäre aber nicht nur die Konzeption des Grundgesetzes ausgehebelt, das den Einsatz der Armee im Innern gerade eng beschränken wollte. Auch die Bedeutung des Verfassungsgerichtsurteils würde faktisch auf null reduziert. Da die Polizei keine Jagdflugzeuge hat, kann es nach Wiefelspütz' Logik nämlich gar keine „nichtkriegerischen Luftzwischenfälle“ geben, und nur darauf bezieht sich die Karlsruher Entscheidung.

Wiefelspütz' nassforsche Argumente stellen alles in den Schatten, was Schäuble in letzter Zeit zu diesem Thema sagte. Noch hat allerdings kein SPD-Politiker dem Genossen widersprochen. Für Wiefelspütz ist das vermutlich ein neuer Beweis dafür, dass seine Parteikollegin nicht auf wissenschaftlichem Niveau arbeiten. SPD-Justizministerin Brigitte Zypries dürfte verstehen, was hier läuft, schweigt aber. So kann Wiefelspütz seine Doppelrolle als harter Kritiker und heimlicher Verbündeter von Wolfgang Schäuble ungestört weiterspielen. CHRISTIAN RATH