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Archiv-Artikel

Von der Rolle

AUS BERLIN ERIK HEIER

Man spürt die nahe Autobahn. Ihr Dröhnen vergeht nie, es liegt beständig über den Bauwagen, Eisenbahnwaggons, Wohnanhängern, ausgedienten Zirkuswagen. Daran stört sich im Öko-Wagendorf im Nordosten Berlins keiner. Irgendwann hört man es einfach nicht mehr.

Mit dem Lärm, den die neuen Nachbarn gern mal rüberschicken, ist das leider nicht so einfach. Auch die wohnen auf Rädern. Ähnlicher Daseinsentwurf: alternatives Leben, großes Miteinander, Toleranz. So weit das Klischee.

Aber die neuen Rollheimer auf dem Nachbargrundstück sind junge Punks. Und Punks müssen feiern. Es muss krachen. Nachtruhe ist Nebensache.

Halloween war es wieder arg. Wie so oft seit Mai, als sie hier ankamen. Sie haben heftige Lautsprecherboxen, fette Bässe, nur keinen eigenen Strom. Den muss ihnen die Öko-Wagenburg liefern. Dort zog jemand in dieser Halloween-Nacht entnervt den Stecker.

Dann war Ruhe. Genauer: ein Luftholen.

Noch in derselben Nacht war plötzlich auch bei einem Wagen auf der Seite der Alteingesessenen der Saft weg. Jemand hatte ein Kabel durchtrennt. Mit einem Beil.

DAS GRUNDSTÜCK an der nordöstlichen Berliner Stadtgrenze war während der Nazizeit ein Zwangsarbeiterlager, in der DDR ein Schweinezuchtbetrieb. 1993 zogen die ersten Rollheimer her, gründeten den Verein „Pankgräfin e. V.“, bekamen einen Pachtvertrag. 65 Erwachsene und 20 Kinder leben heute hier: Künstler, Studenten, Freiberufler, Stützeempfänger, Aussteiger, Trinker, ein Studienrat. Das rissige Betonplattenband, das das Dorf teilt, nennen sie „Sesamstraße“.

Viele lassen hier ihr Leben in Ruhe. Doch, Idylle ist machbar.

Direkt nebenan wohnen schon seit zehn Jahren Alt-Punks. Ihre Wagen standen früher im ehemaligen Mauerstreifen. Damals eine üble Rollheimer-Adresse: Drogen, Dreck, Tbc. Längst sind sie ganz friedlich.

Weil das gut geklappt hat, schleppte die Verwaltung im Mai dieses Jahres eine weitere Punk-Wagenburg an. Die war im Bezirk Friedrichshain unangenehm aufgefallen. Das zuständige Bezirksamt hatte davor beim Pankgräfin-Verein angefragt, ob die Punks direkt bei ihnen unterkommen könnten. Der lehnte ab. Die Wagen wurden trotzdem herangekarrt – neben das Öko-Wagendorf, ein Dutzend Leute.

Die neue Bleibe musste gefeiert werden. Sofort, ausgiebig, ausufernd.

Bald lagen die Nerven der Öko-Rollheimer blank. Bei einigen ist das bis heute so. Dass sogar mal die Polizei anrücken musste, sagt viel. Die Ordnungshüter bemüht man eigentlich nicht so gern. Aber jede Toleranz ist endlich.

MANCHMAL VERMISST SASCHA seine Hardcore-Band. Jahre her, das. Er legt eine CD ein, lässt sich aufs Sofa fallen, schließt die Augen. Man hört, wie er sich damals die Seele aus dem Leib schrie, wie bleischwere Akkorde über seiner Stimme wüteten. Jetzt ist er 31, um Träume ärmer und um „alternative Gedanken“ reicher. Zwei Gitarren und ein Bass lehnen an der Wand, neben dem Computer.

Saschas Wagen steht am Zaun, direkt neben den Punks. Es ist spätabends. Eigentlich wollte er sich mit seiner Freundin einen gemütlichen Fernsehabend machen. Ab 30 wird man ja ruhiger. Nun aber soll er erzählen. Über die Punks, den Krach, den Ärger.

Er holt Bier. Erzählt, wie er zwei Monate lang kaum schlafen konnte. Wie er fast durchgedreht ist irgendwann. Er, der Ex-Hardcore-Rocker. „Einer von uns hat mal die Dezibel gemessen. Lauter als ein Flugzeug.“

Seit zehn Jahren werkelt Sascha an seinem 38-Quadratmeter-Refugium, das mal ein „Ost-Bienenwagen“ war. Innen viel Holz an den Wänden, die Decke mit Tuch verkleidet. Der Ofen bollert. „Wir bauen uns doch etwas auf“, sagt er. „Wir haben ein Projekt.“

Aber es ist alles ziemlich vertrackt. „Ich mag die da drüben doch. Das wissen die auch.“ Man sieht ihm an, er ringt mit sich. „Ich mag die wirklich.“ Es klingt ratlos.

Sascha horcht in die Nacht. Stille.

DIE ÖKO-WAGENBURGLER bauen Obstbäume auf den einstigen Rieselfeldern an. Sie züchten eine ungarische Wollschweinrasse, der das Aussterben droht. Sie trennen in ihren Toiletten, streng ökologisch, Urin von Kot. Wollte man sich Vorzeige-Alternative vorstellen, dann so.

Bis sich Punks bemerkbar machten. Nicht nur hier im Wagendorf selbst. Auch bei den Anwohnern im nahen Stadtviertel. Weil sie beim Verbrauchermarkt Passanten anschnorrten. Und weil das für die Anwohner so scheinen mochte, als gehörten die Punks zu den Pankgräfin-Rollheimern. Für manchen ist Wagenburg gleich Wagenburg.

Eines Tages hängten die Pankgräfin-Leute im Viertel einen offenen Brief aus. Der Tenor fiel bewusst holzschnittartig aus: Wir sind die Guten, die sind die Bösen. Die sind nicht wir. Die müssen weg.

Danach waren die Punks schwer angefressen. Sie drehten richtig auf. Lauter, fetter, aggressiver.

PUNK-WAGENBURG am nächsten Morgen, zehn Uhr. Die Sesamstraße endet an einem Loch im Drahtzaun, dahinter ein Holzsteg über einen Graben. Da stehen die grellbunten Wagen. Die Alt-Punks rechts, die Lärm-Punks links. An einem Buswrack steht „Bier“. Innen türmt sich ein Gebirge aus „Sternburg“-Kisten. Struppige Hunde keulen herbei, von mehreren Seiten. Da muss man dann ruhig weitergehen.

Der Eingang eines der Wagen links ist mit einer Plastikfolie dürftig verhängt. Eine Promenadenmischung lugt heraus. Leises Knurren. Man geht sachte näher. Der Köter knurrt lauter. Man klopft laut an. Er kläfft los. Innen tobt Gebell los. Vier Hunde, mindestens. Sonst rührt sich nichts.

Rückzug.

LUTZ HAT DIE ESKALATION nüchtern durchkalkuliert. Sein offener Brief – als er ihn schrieb, wusste Lutz, was er damit auslösen würde. „Wir hatten dort drüben eskalöse Zustände. Etliche blaue Flecke, herausgeschlagene Zähne.“ Es musste etwas geschehen.

Der 38-Jährige frühstückt, er gießt Tee auf, holt Aufschnitt aus dem Kühlschrank. Sein Heim ist eine Wagenburg in der Wagenburg. Wohnzimmerwagen mit Teppich und Wildschweinfell auf dem Boden. Schlafkammer mit Lukeneinstieg und Dachfenster zu den Sternen. Küchenwagen. Gästewagen. Wintergarten mit Badewanne und Kamin. Werkstattwagen. Ein Hänger gehört „Sohnemann“, 15.

Lutz, hager und drahtig, wirkt asketisch. Seit 18 Jahren wohnt er in Wagenburgen, meistens in Berlin, vor fünf Jahren ist er hier bei der Pankgräfin eingerollt. Er stammt aus Niederbayern, das hört man. Bis vor kurzem saß er im dreiköpfigen Vereinsvorstand, in der Selbstverwaltung des Wagendorfes.

Schon unter den Öko-Rollheimern selbst sei ja genügend Spannungspotenzial da, sagt Lutz. Wie in jeder Gemeinschaft, in der Menschen miteinander klarkommen müssen. Mal debattiert man sehr ausführlich über Müllgebühren, mal über Mietschuldner, mal über Laternen. Jetzt kommen die Probleme auch noch von außen. Das macht es wirklich nicht leichter.

Lutz glaubt, erst nach seinem Schreiben hätten sowohl Pankgräfin-Leute als auch Punks eingesehen, dass sie miteinander reden müssten. Es gab ein gemeinsames Frühstück und ein Konzert, für das die Punks die Bühne der Pankgräfin-Leute nutzen durften. „Das lief so semi“, sagt Lutz. Die lärmigen Punk-Partys wurden seltener. Und das Bezirksamt klinkte sich endlich ein. Es gab Gespräche.

Jetzt soll das Grundstück der beiden Punk-Wagenburgen eingezäunt werden, sie sollen eigenes Wasser, eigenen Strom kriegen. Lutz sagt: „Es brauchte die Eskalation mit dem Brief, damit sich etwas bewegen konnte. Der Streit hätte sonst ewig gegärt.“ Die Punks wollen nun einen eigenen Verein gründen. Das schafft Ansprechpartner, das erleichtert Versorgungs- und Pachtverträge. Das schafft Eigenverantwortung.

Aber bringt es auch Ruhe?

PUNK-WAGENBURG, zweiter Versuch, zwölf Uhr mittags. Aus einem Wagen fällt eine verhutzelte Gestalt heraus, das Innere ist eine Müllhalde. Nebenan fühlen sich drei osteuropäische Punks überhaupt nicht auskunftsfähig. Es ist zu früh zum Aufstehen, zum Waschen oder auch nur zum Lüften.

Nächster Wagen. Ein Schild an der Tür warnt: „Abgase gefährden die Gesundheit. Vermeiden Sie längeren Aufenthalt.“ Klopfen. Eine Mädchenstimme ruft: „Ja?“

Drinnen eine Überraschung: Das Zimmer ist richtig aufgeräumt, Fotos an den Wänden, eine Totenkopffahne. Ein junges Punk-Pärchen kauert auf dem Sofa. Im Fernsehen spricht der Papst. „Kaffee?“

Sarah, 18, ausrasierte Schläfen, versteht die Aufregung nicht. Ja, man hat halt viel gefeiert anfangs, jeden Tag, „wie sich das gehört“. Und der offene Brief, die Kampfansage? Gregor, 22, Irokesenschnitt, winkt ab: „Total übertrieben. Im Prinzip machen wir uns darüber eher lustig. Wir nehmen die da nicht ernst. Das sind halt Hippies. Vielleicht kommen die auch einfach in die Jahre.“

Aber die Punks sind doch leiser geworden, oder? „Na klar, seit Herbst“, grinst Gregor. „Da kriegen alle ihre Depression.“ Der Typ mit der fetten Stereoanlage sei auch gar nicht mehr da. Ein anderer habe extra seine Box weggedreht. Nette Geste.

Gregor läuft in engen Jeans, Lederjacke und Stiefeln herum. Ein Punk eben. In seinem Wagen aber schlüpft er in eine weite Jogginghose und ein sauberes Kapuzenshirt. Fehlen nur noch Pantoffeln. „Ich bin doch zu Hause. Da will ich es bequem haben.“

Gregor schaut zu Sarah rüber: „Aber im Frühjahr geht’s wieder richtig los, oder?“

„Ja, klar“, sagt Sarah.