: Ein irres Handballmärchen
Der Duisburger Handballer Craig Smith spielt in der Verbandsliga, trotzdem will er an den Olympischen Spielen teilnehmen. Wie das geht? 2012 finden im Handball-Entwicklungsland Großbritannien die Spiele statt. Der Gastgeber hat auch fürs Handballturnier ein Freilos – und Smith einen britischen Pass
AUS DUISBURG ROLAND LEROI
Craig Smith weiß wie es ist, wenn ihm die Bälle um die Ohren fliegen. Bei Hamborn 07, Spitzenreiter der Handball-Verbandsliga Niederrhein, steht der Duisburger regelmäßig im Tor und kann davon ausgehen, dass er künftig nicht nur in der 5. Spielklasse gefordert wird. „Ich bin schon fit für Olympia“, sagt Smith lachend. Dazu hat der 29-Jährige auch allen Grund. Die Verbandsliga entspreche zwar seinem Niveau, doch an den Olympischen Sommerspielen 2012 in London wird er als britischer Nationalspieler wohl dennoch teilnehmen. „Im Prinzip ist das alles ein irrer Traum, den ich noch ein paar Jahre in vollen Zügen genießen will“, sagt der Keeper.
Der Stellenwert des Handballs in England ist vergleichbar mit dem des Kanupolo in Deutschland. „Vor ein paar Jahren wusste kaum ein Brite, was Handball eigentlich ist“, meint Smith, der in Duisburg aufwuchs, weil seine Großväter bei der Royal Air Force am Niederrhein stationiert waren. Nachdem ein Freundschaftsmatch gegen die B-Auswahl Schwedens vor zwei Jahren mit 3:67 verloren ging, stellte die British Handball Association den Länderspielbetrieb ein.
Als London aber den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele 2012 erhielt und Großbritannien als Gastgeber für alle Wettbewerbe gesetzt ist, begann die British Handball Association im vergangenen Frühjahr mit dem Aufbau eines neuen Nationalteams. „Die haben einen anonymen Tipp bekommen, dass es in Duisburg einen Torwart mit britischem Pass gibt und plötzlich hatte ich eine Einladung zum Lehrgang im E-Mail-Postfach“, erzählt Smith, der sich zunächst erkundigte, ob es sich nicht um einen schlechten Scherz handele.
Ungünstiger hätte der Zeitpunkt nicht sein können. Smith, der im Nachwuchs vom Feldhandball-Weltmeister Walter Schädlich ausgebildet wurde und dann in der A-Jugend von TuSEM Essen gemeinsam mit dem deutschen Nationalspieler Florian Kehrmann aktiv war, hatte berufsbedingt mehrere Jahre nicht trainiert. „Bei 1,72 Meter Körpergröße wog ich 103 Kilo. Als ich merkte, dass es die Engländer ernst meinen, bin ich aber direkt Laufen gegangen und kam bei Hamborn 07 unter“, sagt der Brite, der sich auch als solcher fühlt und für den sich die Mühen lohnten.
Beim Probetraining in Glasgow wusste er inmitten von 70 Testkandidaten zu überzeugen, zwei weitere Auswahlcamps in Sheffield und Liverpool bestand er ebenfalls. „Die Ausscheidungslager waren richtig harte Nummern, aber ich bin jetzt fester Bestandteil im 25-köpfigen Kader, der schon in Hinblick auf Olympia 2012 zusammengestellt ist“, sagt Smith, der binnen sechs Monaten rund 20 Kilogramm verlor. Und was noch viel wichtiger ist: Der Duisburger ist gemeinsam mit Jesper Parker, einen Keeper aus Schweden, gleichberechtigte Nummer Eins.
Seitdem träumt Smith, der für die WM 2007, die ab 19. Januar in Deutschland stattfindet, keine Eintrittkarten bekam, von den Olympischen Ringen. Die Show, bei der Eröffnungsfeier ins Stadion zu marschieren, laufe beinahe täglich vor seinem geistigen Auge ab. „Und dann direkt im Eröffnungsspiel einen halten. Am besten gegen Deutschland“, gibt er zu, dass ihn der Gedanke daran „ganz hibbelig“ mache. Dass die Begeisterung für Handball auf der Insel bis dahin am oberen Limit ist, steht für ihn außer Frage. Der britische Verband unternehme alles, damit der Exotensport bekannt wird. „Handball ist jetzt ständig im Fernsehen und in der Presse, die Jugendteams haben enormen Zulauf. Inzwischen wissen bestimmt 60 Prozent aller Engländer etwas mit Handball anzufangen“, glaubt Smith, der beruflich ein Sportgeschäft führt und sich 2012 im 36. Lebensjahr befindet: „Für einen Torwart das perfekte Alter.“
Auch das sportliche Niveau wird verbessert. Alle vier Wochen lädt Trainer Bill Baillie zum mehrtägigen Trainingscamp nach Großbritannien oder Dänemark. Die Reisekosten inklusive Flugbuchung übernimmt der Verband, der viel investiert, um eine Blamage zu vermeiden. „Erst dachte ich ja, dass die Idee nur im Chaos enden kann. Wir haben aber ein Supertraining in speziellen Leistungszentren und üben volle Kanne“, meint Smith, der einer von nur vier Legionären ist und in William McLachlan aus der dritten Liga Österreichs seinen Zimmerpartner gefunden hat. „Inzwischen hat unsere Mannschaft Oberliga-Niveau und wir werden ständig brillanter“, sagt Smith, der seine ein Jahr jüngere Schwester Yvette im übrigen erfolgreich an das britische Frauen-Nationalteam empfahl und hofft, dass „wir gemeinsam bei Olympia erfolgreich sind.“
Zuvor warten allerdings noch andere Highlights. Als olympischen Testlauf bekommen die Briten für die WM 2011 eine „Wildcard“ und im nächsten Januar stehen nach langer Pause die ersten beiden Länderspiele auf dem Programm. „In Dänemark gegen WM-Teilnehmer Australien, das wird eine echte Bewährungsprobe“, meint Smith, der keine Angst vor einem Debakel hat. „Wir Briten sind schwer zu bespielen, sehr robust und halten gerne mal eine Hand rein“, meint der Keeper, der schließlich weiß, wie es ist, wenn ihm die Bälle um die Ohren fliegen.