Modern frisiertes Musical

GOETHEPLATZ Hippies heute: Die „Hair“-Fassung des Bremer Theaters bemüht sich inhaltlich und musikalisch um Zeitgenossenschaft. Die Inszenierung könnte mehr leisten, als gut zu sein

Drei Ideen prägen die Neuinszenierung von „Hair“ am Bremer Theater, 46 Jahre nach der Uraufführung des Powerflower-Musicals am Broadway. Die Beste ist, dass Regisseur Robert Lehniger die TänzerInnen von Samir Akika zur hippiesken Protagonisten-Crew erklärt.

Deren immerwährende Bewegungsparty wälzt sich durch Irene Ips mehrstöckiges Bühnenbild, das eine phantastische Melange von Monte Veritá und All-inclusive-Wellness-Area ist, und lebt von der Extrovertiertheit und Individualität der Bremer TänzerInnen – und das ist ein wirklich ein reicher Fundus.

Idee Nummer zwei besteht in der konsequenten musikalischen Überarbeitung des Musicals durch die Berliner Band Warren Suicide. Sie hat für die Bremer Philharmoniker und sich selbst eine Fassung erarbeitet, in der zwar die größten Hits des Musicals vorkommen, ansonsten jedoch Dada-Rock und Elektronik dominieren – das ist gut, aber nicht vom Hocker reißend.

Zum Dritten aktualisiert und lokalisiert Lehniger die große „Hair“-Frage nach der Veränderbarkeit der Welt – letzteres allerdings überzeugender als ersteres. Denn obwohl sich Lehniger viel Mühe gegeben hat, in der Neustädter Bonbonfabrik beziehungsweise der Stadtkommune Alla Hopp, im Lesumer Ökodorf, dem Gärtnerhof Oldendorf, auf dem „Querlenker“-Wagenplatz oder beim Bremer Ableger des Chaos Computer Clubs nach örtlichen Alternativen zum miesen Gesamtsystem zu suchen – die dort geführten Interviews wirken nicht wie die Speerspitze des Andersseins. Sondern, indem sie die fast ausnahmslos angejahrte Aktivisten fokussieren, unfreiwillig nostalgisch. Auch Altbürgermeister Scherf wird hier zu den heutigen Hair-Verkörperern geadelt, die inhaltliche Spannung zu einem in der Kommune durchs Bild rutschenden Laya Condé-Transpi jedoch ignoriert.

Zum Vierten – aber das ist nicht wirklich eine Idee – steht ein hundertköpfiger Chor auf der Bühne beziehungsweise ums Publikum herum. Die Einbeziehung der Massen, die als Erwerbslosen, Ausgebeuteten oder sonstige Chöre ins theatrale Geschehen einbezogen werden, ist wieder Mode auf den deutschen Bühnen – bei „Hair“ ist es ein „Bürgerchor“, der als singende Statistenschar mitmischt.

Nun kann man sich bestens darüber mokieren, wie sich der Begriff des Bürgerlichen auf diese Weise in das zutiefst von einer anti-bürgerlichen Attitüde geprägte Bühnenwerk infiltriert. Dennoch steht die offenkundige Begeisterung der LaienchörlerInnnen auf der Habenseite dieser Inszenierung. Die allerdings könnte – angesichts der Menge an aufgewendeten Mitteln – auch mehr leisten, als gut zu sein. Sie könnte – begeistern.  HENNING BLEYL