: „Schikane ist noch da“
VORTRAG Die „Asozialen“ blieben nach der Nazi-Diktatur von Entschädigung ausgeschlossen
■ 56, ist Professor am Institut für Sozialpolitik der Uni Kassel und habilitierte zu „Asozialen“ im NS.
taz: Die Bezeichnung „asozial“ gibt es noch heute. Was hat sich verändert?
Wolfgang Ayaß: Bettlerei, Landstreicherei und Prostitution sind nicht mehr generell verboten, werden eher geduldet. Obwohl die Polizeischikane gegen Bettler noch da ist. Und wenn der Kommandant der Gorch Fock seine Kadetten als „minderwertiges Menschenmaterial“ bezeichnet, will ich nicht wissen, was der über Bettler sagt. Auch gibt es noch die Vorstellung, dass die falschen Leute Kinder kriegen, wie bei Thilo Sarrazin. Bei den Nazis waren das die „asozialen Großfamilien“.
Das wäre das Gleiche?
Man muss aufpassen, die NS-Zeit nicht zu verharmlosen! Hinter der Rassenhygiene stand damals die Wissenschaft, eine Mordaktion des Staates.
Wer genau fiel in der NS-Zeit unter die Bezeichnung „asozial“?
Es war eine Sammelbezeichnung für abweichendes Verhalten. Darunter fielen wie gesagt Landstreicher, Prostituierte, arme Alkoholiker oder eben Unterschichtfamilien. Der Begriff existierte schon vorher, kam aber zwischen 1936 und 1938 erst wirklich auf.
Was wurde ihnen angetan?
Erst ordnete die Kommunalverwaltung Entmündigungen und Anstaltsunterbringungen an. Dabei wurde altes Recht überschritten, auf das man sich aber weiterhin berief. Ab 1938 kamen „Asoziale“ ins KZ. Die Einweisungen liefen dabei übrigens nicht über die SS, sondern die Kriminalpolizei.
Und in Bremen?
Draußen im Teufelsmoor gab es ein Zwangslager für Fürsorgeempfänger, die als „arbeitsscheu“ galten. Obdachlose Familien kamen in ein Lager in Hashude in der Neustadt. Später kamen die meisten dann nach Sachsenhausen. Im KZ bildeten sie eine eigene Häftlingskategorie und mussten schwarze Winkel tragen.
Wie erging es den Überlebenden?
Es gab nur wenige. Und die blieben von Entschädigung ausgeschlossen: „Asoziale“ haben sich nie in einer Organisation zusammengetan. Niemand würde sich selbst so bezeichnen.
INTERVIEW: JPB
Vortrag: 17 Uhr, Haus der Bürgerschaft, Raum 1