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Archiv-Artikel

Der Feudel steckt im Detail

Die ARD-Dokusoap „Bräuteschule 1958“ konfrontiert junge Frauen von heute mit den Tücken der Hausarbeit vor 50 Jahren – und beantwortet die ewige Frage, wie Nazideutschland möglich war (Di. bis Fr., 18.50 Uhr)

VON SILKE BURMESTER

Er hat es nie auf die Artenschutzliste geschafft. Still und leise ist der Backfisch ausgestorben. Nun, 50 Jahre nach seinem Verschwinden aus der deutschen Gesellschaft, gibt Das Erste zehn jungen Frauen die Möglichkeit, zu erahnen, was es hieß, im Deutschland Konrad Adenauers Teenager gewesen zu sein. Detailgetreu haben die Ausstatter eine so genannte „Bräuteschule“ auferstehen lassen. Ein Internat, in dem aus jungen, optimistischen, erwartungsvollen Frauen verbissene Putzteufel wurden, Kuchenbackköniginnen und beflissene Dienerinnen eines Geld heimbringenden Ehegatten. Käme irgendjemand auf die Idee, diese Einrichtung auch außerhalb des Fernsehens im Hier und Jetzt zu etablieren, Eva Herman würde sie sicherlich gern mit ihren Tantiemen unterstützen.

Zwischen 17 und 23 Jahren sind die Protagonistinnen alt, die sich für sechs Wochen in das Jahr 1958 beamen ließen, auf Deo und Schokolade verzichteten, aufs Handy und Kontakt zur Außenwelt. In dieser Zeit, so der Vorsatz von Schulleiterin Barbara Dittrich, sollen sie kochen lernen, nähen und putzen, ein Haushaltsbuch führen können und Geschick und Anstand lernen. Ganz so wie sie selbst und ihre drei Kolleginnen es beherrschen – vom Knicks bis zum keinen Widerspruch duldenden Tonfall: Die Lehrerinnen des Internats kennen sich mit den Gepflogenheiten der damaligen Zeit erschreckend gut aus.

16 Folgen lang können die Zuschauer dieser Unternehmung beiwohnen, und das ist zunächst einmal recht lustig. Etwa wenn Friseurinnen aus hübschen, modernen Girls altbackene Trutschen machen. Oder das Abwiegen von Hackfleisch die Schülerinnen in Ratlosigkeit stürzt, bis eine beherzt zum Messbecher greift und sagt: „Milliliter – das ist so viel wie Gramm“ und das Hack in den Messbecher stopft.

Doch das Lachen vergeht Zuschauern und Schülerinnen gleichermaßen schnell. Oberlehrerin Limbrock lässt bereits am ersten Tag ihre Qualitäten als Hausdrachen erkennen, und nach nicht einmal einer Woche Frauenarbeit ist der Nachwuchs mit den Nerven am Ende. Geschockt beobachtet man, wie die ehemals quirligen zehn von tiefen Augenringen gekennzeichnet, apathisch und appetitlos am Frühstückstisch sitzen. „Mir ist, als kippt die Stimmung“, sagt Hannah leise in Richtung Direktorin, die im wahren Leben ihre Mutter ist. „Hier kippt gar nichts“, kommt es apodiktisch zurück. Doch die Worte bleiben ohne Wirkung. Noch im Essraum fließen die ersten Tränen. Sprecherinnen werden bestimmt, die eine halbe Stunde Freizeit pro Tag aushandeln.

„Was man mit Disziplin und Anstand erreichen kann, das finde ich schon hart“, sagt die fröhliche Nadja, der es noch am wenigsten schwer fällt, das gute Mädchen zu sein. Dabei ist der Alltag, der den jungen Frauen abverlangt wird, eines. Ein anderes ist, zu sehen, mit welch einer Distanzlosigkeit die Leitenden zum Teil ihre Rollen ausfüllen. In Folge eins und drei, die die ARD als Anschauungsmaterial zur Verfügung stellte, stehen die Direktorin (Barbara Dittrich) und Oberlehrerin Limbrock (Antje Limbrock) im Vordergrund. Barbara Dittrich ist im realen Leben Hochschuldozentin für Hauswirtschaft, Antje Limbrock Mutter von vier Kindern, die auch schon mit Schwererziehbaren arbeitete. Während Dittrich es schafft, ihre Rolle warmherzig auszufüllen, Liebe keinen Widerspruch zur Strenge sein zu lassen, erschrickt es, mit welcher Leidenschaft Antje Limbrock in ihrer Rolle als Oberlehrerin aufgeht.

Nach dem Motto des Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun, „Alles steckt in jedem“, scheint sie die ihr gegebene Macht in vollen Zügen zu genießen. Ohne Wärme oder Nähe entstehen zu lassen, lebt sie diese subtil an den jungen Frauen aus. Stellvertretend für die Millionen Deutschen, die Teil der Naziherrschaft waren, ohne die die Maschinerie des erhabenen, andere vernichtenden Menschen nicht funktioniert hätte, beantwortet sie die ewige Frage, wie Nazideutschland möglich war. In der Logik der Steigerung der Reize gibt es für Fernsehmacher nach der „Bräuteschule 1958“ nur noch zwei Möglichkeiten: Schluss zu machen mit der Inszenierung von Macht und Unterordnung oder als Konsequenz eine dokumentarische Neuauflage des Stanford-Prison-Experiments von 1971 ins Fernsehen zu bringen – zuletzt nahm sich Regisseur Oliver Hirschbiegel des Stoffs in seinem Spielfilm „Das Experiment“ (2001) an. Dabei stellte eine Probandengruppe die Gefangenen, eine andere deren Wärter. Sie hatten die Möglichkeit, mittels eigener Regeln für „Ordnung“ zu sorgen. Der Versuch geriet in Folge des Machtmissbrauchs durch die Wärter außer Kontrolle und musste abgebrochen werden.

Doch auch die Schülerinnen, jene Frauen, die im Jahr 2006 als Studentinnen, Schülerinnen und Auszubildende ihr Leben meistern, vermitteln einen unfreiwilligen Einblick, der zu denken gibt. Nicht nur, dass sie mit der Aufgabe, Hackfleisch abzuwiegen, nicht klar kommen. Ist es erst einmal in Kohlblätter gerollt, werden die Rouladen aus gut einem Meter Entfernung in den Topf mit spritzendem heißem Fett geworfen. Serviert werden sie außen schwarz, innen roh. Auch davon 147 durch 21 zu teilen, zeigt sich die Gruppe überfordert. Weder im Kopf noch an der Tafel scheint ihnen diese Rechnung lösbar. Die 23-jährige Sandrin weiß auch nicht, was ein Feudel ist. An der Bezeichnung kann es nicht liegen. Lehrerin Limrock bietet noch die Wörter „Scheuerlappen“ und „Aufnehmer“ an.

Wer hierin Wasser auf die Mühlen von Eva Hermans Eva-Prinzip und der vermeintlichen Notwendigkeit sieht, Frauen Haushaltsführung zu lehren, unterliegt jedoch einem Fehler. Zwar ist es erschreckend, wie sehr allein zwei Folgen der Serie fehlende Grundlagen offenbaren. Nur ist dies kein geschlechtsspezifisches Thema. Wenn Kinder keine Schleifen mehr binden können, weil sie nur Klettverschlüsse kennen, wenn Jugendliche keinen Satz mehr ohne „Ey Alta“ bilden können und annehmen, Hackfleisch ließe sich im Messbecher abwiegen, ist das ein kultureller Verlust, der weitergeht als die Weigerung von Frauen, in der Betreuung des Ehemanns ihr Heil zu suchen.

Diejenigen, die in der allgemeinen 50er-Jahre-Euphorie, der Besinnung auf die „Wir sind wieder wer“-Zeit keine Parallele zur aktuellen Umkehr der Täterschaft im Dritten Reich in die Opferrolle sehen wollen, mögen ein ewiges Lied auf den Backfisch singen. Die anderen mögen froh sein, dass er ausgestorben ist.