: Die Sekte lockt mit offenen Türen
Die Nachbarn blicken mit gemischten Gefühlen auf die neue Scientology-Zentrale. Die einen halten die Sekten-Mitglieder für höfliche Kunden, andere fürchten sich vor ihnen. Besucher des Hauses werden schon Tage vor der Eröffnung umworben
VON NINA APIN
Herein kommt man tatsächlich durch die Tür. Die neue Scientology-Zentrale in Charlottenburg gibt sich ebenso pompös wie publikumsnah: Auf dem Dach des wuchtigen, mehrstöckigen Glasbaus prangt, weithin sichtbar, ein Kreuz mit Strahlenkranz und die Aufschrift „Scientology Kirche“. Schon vor der offiziellen Eröffnung am kommenden Samstag lädt ein Schild ins Informationszentrum, „offen für alle“. Scientology hat sich offenbar zum Ziel gesetzt, an der Kreuzung Otto-Suhr-Allee/Cauerstraße alle Bedenken der Berliner gegen die umstrittene Organisation zu zerstreuen.
Dezent stehen die Bücher von Sektengründer Ron L. Hubbard im Schaufenster, das Center für IQ- und Persönlichkeitstests – „keine Verpflichtungen“ – ist von außen einsehbar.
Viele Passanten bleiben an der belebten Kreuzung stehen, um einen Blick auf den neuen Nachbarn zu werfen. „Ich stehe denen erst mal neutral gegenüber“, sagt eine Frau mit Einkaufstaschen. Die öffentliche Erregung findet sie übertrieben, sie will lieber selbst mal reinschauen: „Vielleicht seh ich ja Tom Cruise.“ Der Schauspieler ist wie andere US-Filmstars auch bekennender Scientologe.
Die Berliner Sektenmitglieder fallen nur durch ihr dunklen Anzüge auf – und ihre Höflichkeit. „Die sind zuvorkommend, nett und essen Currywurst“, sagt eine Verkäuferin an der Imbissbude gegenüber. „Angequatscht haben die noch niemanden.“
Drei Achtklässlerinnen von der Evangelischen Schule berichten das Gegenteil. Freundinnen von ihnen seien auf dem Schulweg angesprochen worden. „Man hätte verbieten müssen, dass die neben eine Schule ziehen“, empört sich die 16-jährige Maria. Die Mädchen haben Angst vor Beeinflussung. „Ich glaube, das ist eine gefährliche Sekte“, sagt die 13-jährige Jennifer. Sicher ist sie sich nicht, im Unterricht waren Sekten noch nicht dran. Aber das Gebäude möchten die drei auf keinen Fall betreten, „Ich hätte Angst, da reingezogen zu werden“, sagt Jasmin (14).
Tritt ein Besucher durch die Drehtür von Scientology, bleibt er tatsächlich nicht lang allein. Gleich eilt ein freundlicher „Öffentlichkeitsführungssekretär“ im Anzug herbei, um einem die Videos und Fotos von Ron L. Hubbard nahezubringen. Diese zeigen den Sektengründer als Forscher, Schriftsteller, „Menschenfreund und Administrator“, überall liegen seine Bücher. Auf die Frage nach dem Preis für das Standardwerk „Dianetics“ eilen gleich zwei Uniformierte herbei: Nur 9,90 Euro koste das „wirklich sehr interessante“ Buch, aber es gebe auch eine DVD über den Organisationsgründer. Der war offensichtlich ein Marketinggenie. Ob man kurz mal seinen IQ testen lassen möchte, Impulse für einen Berufswechsel sucht oder gleich ein ganzes „Self Improvement Package“ erwerben will – für jeden Neugierigen gibt es ein unverbindliches Einstiegsangebot.
„Wie die Ameisen sind die“, erregt sich eine Nachbarin. Die ältere Dame wohnt direkt neben der Scientology-Niederlassung und fühlt sich nicht nur optisch belästigt. Jede Nacht sei das Gebäude bis morgens hell erleuchtet, angesprochen habe man sie auch schon mehrmals. Ein junger Mann habe ihr geholfen, den Weihnachtsbaum zum Müll zu tragen und nach ihrem Namen gefragt. Obwohl sie diesen nicht verriet, bekam sie kurz darauf ein persönliches Anschreiben – die Scientologen hatten die Namen der Hausbewohner von den Klingeln abgeschrieben. „Ich erkenne die schon an den Hosen“, flüstert die Dame, als wieder ein paar junge Leute auf das Gebäude zustreben. Sie hält Scientology für gefährlich, glaubt, dass die Sekte die Weltherrschaft anstrebt. „Noch sind es nicht viele, aber Hitler hat damals auch mit einer Handvoll Leute angefangen.“