charts, internet etc.
: Wie man seinen Kulturteil ruiniert

Die Anfangsbuchstaben sind die gleichen geblieben, das ist aber schon alles, sogar ihre Reihenfolge hat sich verschoben: „Pazz & Jop“ nennen sich seit Jahrzehnten die Jahresendcharts der New Yorker Wochenzeitung Village Voice, für die alle Musikkritiker der USA ihre Stimme abgeben, eine Variation auf Jazz & Pop, die beiden Musik-Genres, deren kritische Begleitung der Poll reflektiert. Doch dieses Jahr hat sich einiges verändert. Es gibt „Pazz & Jop“ zwar noch, die Auszählung läuft gegenwärtig, traditionell wird das Ergebnis Anfang Februar verkündet, aber die Umfrage hat mit „Jackin’ Pop“ einen Konkurrenten bekommen.

Keine große Sache, sollte man meinen, zumal nicht davon auszugehen ist, dass die „Pazz & Jop“-Charts sich wesentlich von „Jackin’ Pop“ unterscheiden dürften, dort räumten Gnarls Barkely (Bester Künstler, „Crazy“ bestes Stück, Album auf Platz 7) umfassend ab. Stimmt aber nicht. Denn der Bedeutungsverlust von „Pazz & Jop“ und der Aufstieg von „Jackin’ Pop“ illustriert, was passieren kann, wenn die Geschäftsführung einer Zeitung glaubt, sich den Herausforderungen des Internets zu stellen, und sich dabei gründlich in den Fuß schießt.

Seit die Village Voice, die ehemals wichtigste Stimme der US-Gegenkultur, kurz vor ihrem fünfzigsten Geburtstag im Sommer 2005 von dem Medienkonzern New Times Media gekauft wurde, hat die neue Geschäftsführung nämlich alles gemacht, was einem in solchen Fällen von Unternehmensberatern eingeflüstert wird: verkündet, man werde die Durchdringung von Zeitung und Online-Auftritt verstärken, mit interaktiven Elementen arbeiten, Blogs vollschreiben lassen, Service-orientierter berichten. Der ganze Neue-Medien-Unfug eben. Vor allem wurden reihenweise Redakteure entlassen, weil sie dieser Modernisierung angeblich im Weg standen, unter anderem Robert Christgau, einer der wichtigsten Musikkritiker der USA, für viele derjenige, ohne den es die moderne Popkritik als solche gar nicht gäbe – und seit 1971 der Organisator von „Pazz & Jop“.

Der Musikteil der Voice ist seitdem ein vielbetrauertes Wrack. Und ohne Christgau nimmt eine ganze Reihe von Musikkritikern außerdem nicht mehr bei „Pazz & Jop“ teil. Die Kritiker der L. A. Times, des New Yorker, des Philadelphia Inquirer und der Chicago Sun-Times haben keine Stimme abgegeben. Stattdessen hat die Internet-Agentur Idolator mit einigen Christgau-Schülern „Jackin’ Pop“ ins Leben gerufen – statt der rund 1.300 Teilnehmer wie sonst bei „Pazz & Jop“ kam „Jackin’ Pop“ zwar nur auf 497, was in Anbetracht der kurzen Vorlaufzeit beachtlich ist. Das Entscheidende ist aber etwas anderes: Wer mit dem Argument, das Internet zwinge zu dringenden Umstrukturierungen, genau das opfert, was einen von anderen Internetangeboten unterscheidet, die fundierte Kulturkritik nämlich, steht am Ende noch blöder da als vorher. TOBIAS RAPP