Barbara Bollwahn über ROTKÄPPCHEN
: At last: Hans lernt es doch noch

Mein DDR-Schulenglisch konnte nur durch einen Native Speaker gerettet werden. Gott sei Dank traf ich gleich drei

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr? Ich habe nie so richtig an diesen Spruch geglaubt. Trotzdem war ich bis vor kurzem noch ziemlich sauer darauf, dass ich in meiner Jugend nicht die Möglichkeit hatte, halbwegs gut Englisch zu lernen. Gerne wäre ich als Austauschschülerin oder Au-pair nach Großbritannien gegangen. Stattdessen musste ich Russisch pauken.

Ich war schon 14 Jahre alt, als ich das erste Mal mein Schulenglisch in der Praxis ausprobieren konnte. Die Kontaktanbahnung lief über meine Eltern. Sie waren mit einem Tierarzt aus Leipzig befreundet, der sich um kranke Tiere im dortigen Zoo kümmerte und um Studenten aus dem Ausland, die bei ihm hospitierten. Für ein Sommerwochenende hatte er seinen Besuch angekündigt, zusammen mit einem englischsprachigen Studenten. Aus Edinburgh in Schottland, um genau zu sein.

Das erste Wort, das ich zur Vorbereitung dieser Begegnung im Wörterbuch nachschaute, war natürlich das für Schottenrock. Darüber hinaus hatte ich mir alle Wörter eingeprägt, die ich brauchen würde, um zu fragen, ob er wirklich nichts darunter trägt. Zu meiner maßlosen Enttäuschung trug er bei seinem Eintreffen T-Shirt und Jeans. „But where is your kilt?“, fragte ich fassungslos und verlor ziemlich schnell mein Interesse.

Bei dem zweiten Herrn aus dem Vereinigten Königreich, der mir über den Weg lief, war ich bereits Anfang 20. Mein Englisch ließ mangels Praxis immer noch sehr zu wünschen übrig. Immerhin schaffte ich es, einem Truckdriver aus London, der mich bei einer Tramptour durch Ungarn mitnahm, zu sagen, woher ich komme und wohin ich will.

Letzte Woche nun hatte ich das dritte Mal Kontakt zu einem Engländer. Es war in dem berühmten Ostberliner Tanzlokal „Clärchens Ballhaus“, wo an diesem Abend grandiose Swingmusik gespielt wurde. Ich war so beschwingt davon, dass ich begann, mit einem gut aussehenden Mann im braunen Cordanzug und rotem Hut am Nebentisch zu flirten. Nach einer halben Stunde setzte ich mich an seinen Tisch und redete einfach drauflos. Bis ich merkte, dass er kein Wort verstand. Im besten britischen Englisch stellte er sich als Luke aus London vor, der gerade gelandet und noch nie in Berlin gewesen war. Zum Glück empfand er meinen Überfall nicht als Blitzkrieg.

Ich ging erst einmal in die Defensive, weil mir flotte Sprüche in Englisch leider nicht so leicht über die Lippen kommen. Keine meiner Reisen hatte mich bisher nach England geführt. Deshalb nahm ich die sprachliche Herausforderung an. Schnell waren wir uns einig: Ich würde Luke Berlin zeigen und er mir im Gegenzug einen Intensivkurs in seiner Muttersprache geben.

Weil ich keine weitere Zeit verlieren wollte, begannen wir sofort mit Lektion eins. Die fand bei mir zu Hause statt und bestand darin, zu Schallplatten aus den 60er-Jahren mit Liedern wie „Till we meet again“ zu tanzen. Die Verständigung lief bestens. Beim Tanzen muss man zum Glück auch nicht so viel reden. Lektion zwei folgte am nächsten Tag. Ich zeigte ihm das sowjetische Ehrenmal im Treptower Park, die letzte Ruhestätte für 5.000 der etwa 20.000 im Kampf um Berlin gefallenen Sowjetsoldaten, das ihn schwer beeindruckte. Weil mir Lektion eins noch in den Knochen steckte, zog ich mich bei der anschließenden Übersetzung der Speisekarte aus der Affäre. Ich bat ihn, mir zu vertrauen, dass ich ihm etwas zu essen bestellen werde, was ihm schmeckt. Er war begeistert von der Räucherforelle.

Lektion drei war der Besuch eines Bade- und Saunaschiffes auf der Spree, wo ich lernte, dass Engländer längst nicht so prüde sind, wie der Ruf es besagt. Lektion vier führte uns in ein Altberliner Lokal in Kreuzberg. Diesmal stellte ich mich tapfer der Übersetzung der Speisekarte und empfahl ihm ein Gericht aus Schweinebraten, Sauerkraut und Hoden. Geduldig erklärte mir Luke den Unterschied zwischen Hoden und Knödeln. Den sprachlichen Kauderwelsch spülten wir mit einigen Litern Grauburgunder hinunter. Zum Glück ist es zum Lernen nie zu spät.

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