Der weltläufig Abgründige

CHARAKTERDARSTELLER Charles Regnier wäre in diesem Monat 100 Jahre alt geworden. Das Kino Arsenal würdigt den intellektuellen Schauspieler und Regisseur mit einem Filmprogramm

Seine zahllosen Auftritte ereigneten sich eher an den Rändern

VON MATTHIAS DELL

Bei seinem letzten Auftritt vor der Filmkamera beschied sich Charles Regnier mit der Milde und Gutmütigkeit, die sein Gesicht gerade im Alter hergab. In Oskar Roehlers schwarz-weißem Requiem „Die Unberührbare“ (2000), in dem die linke westdeutsche Schriftstellerin Gisela Elsner (die hier Hanna Flanders heißt und von Hannelore Elsner gespielt wird) durch das jähe Ende der DDR politisch heimatlos wird, ist Regniers Vater eine der wenigen freundlichen Figuren in einer feindlich gewordenen Welt. Er hat nur nichts zu melden; den Streit mit der zerzausten Tochter führt die Frau (Helga Göring), die sich unversöhnlich gibt, wo der Vater nachsichtig und großzügig handeln wollte.

Die Qualitäten des 2001 verstorbenen Schauspielers werden durch die sympathische Altersrolle nur unvollständig erinnert. Charles Regnier, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, eignete bei aller Weltläufigkeit und Grandezza schon in jüngeren Jahren auch eine Abgründigkeit, die nicht nur in der Vaterfigur kassiert ist. In seinem Auftritt als Inspektor in „Der schwarze Abt“, einer notorischen Edgar-Wallace-Verfilmung der frühen sechziger Jahre, beschränkt sich Regnier auf einen Ton.

Man kann dadurch aber gut erkennen, mit welch großer und im deutschen Film durchaus ungewöhnlichen Gelassenheit Regnier spielte, weil sich der Vergleich mit den anderen beiden Inspektoren-Darstellern der Wallace-Adaptionen aufdrängt. Während Joachim Fuchsberger immer eine Spur zu streberhaft-jungspundhaft auftrat und Heinz Drache deutlich signalisierte, wie sehr er seine eigene Smartness mochte, wirkt Regnier auf wohltuend-zurückgenommene Weise souverän.

Was allerdings auch bedeutet, dass sein Ermittler viel mehr Nebenfigur ist, als es die Charaktere von Fuchsberger und Drache waren. Charles Regniers Platz im deutschen Film ist damit treffend lokalisiert: Seine zahllosen Auftritte ereigneten sich eher an den Rändern. Hauptrollen hat Regnier – der in Freiburg geboren wurde als Sohn eines französischstämmigen, aus den USA zurückgekehrten Arztes und in Heidelberg und Montreux aufwuchs – im Theater gespielt.

Das Berliner Arsenal zeigt im Rahmen einer dreiteiligen Erinnerung an den Schauspieler zum 100. Geburtstag daher auch eine Fernsehaufzeichnung. Gerhard Klingenbergs Einrichtung von Heinar Kipphardts Drama „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ von 1964, das neben dem Marquis de Sade bei Peter Weiss und dem Riccaut de la Marliniere in Lessings „Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück“ die große Rolle für Regnier parat hielt.

Rar ist auch die Ausstrahlung von Stephan Dwoskins deutsch-britischer Produktion „Tod und Teufel“ (1973), der experimentellen Adaption eines unvollendet gebliebenen Stücks von Frank Wedekind im feministischen Umfeld der siebziger Jahre. Regnier spielt darin mit seiner älteren Tochter Carola (1943–2011), die aus der Ehe mit der Wedekind-Tochter Pamela hervorgegangen und dem Arsenal verbunden war. Nach dem Tod seiner ersten Frau 1986 heiratete Regnier, der 1933 wegen Homosexualität für einige Monate im KZ Lichtenburg inhaftiert war und ab 1938 doch noch an deutschen Bühnen arbeiten konnte, seine langjährige Bühnenpartnerin Sonja Ziemann.

Im Rahmen der Würdigung wird schließlich noch Douglas Sirks Remarque-Verfilmung „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ von 1958 gezeigt. Charles Regnier, der als Schauspieler häufig „intellektuell“ genannt wurde und überdies Übersetzer, Autor und Regisseur war, hat inmitten des überwiegend US-amerikanischen Casts kurze, aber markante Auftritte an der Seite von Erich Maria Remarque: Regnier spielt den Juden Joseph, der von Remarques lebensweisem Religionslehrer versteckt wird. Er tut dies wiederum mit großer Lässigkeit: nicht als verschüchtertes Opfer, sondern als desillusioniert-lakonischer Undercoverlogistiker, der dem in schweres Zweifeln am eigenen Morden geratenen deutschen Soldaten auf Fronturlaub (John Gavin) Tipps fürs Lavieren gibt.

■ Charles Regnier: Kino Arsenal, 9., 11. und 14. 7.