: „Üblicherweise versteckt“
Sie ist eine der ältesten Norddeutschlands und eine der wenigen, deren baulicher Zustand fast original erhalten ist: Gestern wurde die aufwändige Sanierung der Celler Synagoge beendet. Ein Gespräch mit Ulrich Knufinke, Experte für die Bauwerke deutscher jüdischer Gemeinden
Interview: Petra Schellen
taz: Herr Knufinke, wer hat die Synagoge 1740 gegründet und finanziert? Wie groß war damals die jüdische Gemeinde in Celle?
Ulrich Knufinke: Die jüdische Gemeinde hat sich Ende des 17. Jahrhunderts dort angesiedelt. Celle war kurz zuvor Residenzstadt gewesen. Jetzt lebten nur noch Teile des ehemaligen Hofstaates dort, sodass man wohl Interesse hatte, wirtschaftskräftige jüdische Geschäftsleute in Celle anzusiedeln, um der Stadt zu neuem Aufstieg zu verhelfen. Diese Menschen hatten – ähnlich den so genannten Hofjuden, die von der Obrigkeit zugelassen wurden und dafür Schutzgeld zahlen mussten – einen Schutzbrief. Sie durften sich allerdings nur in der Vorstadt ansiedeln. Diese jüdische Gemeinde hatten wohl auch schon im Jahr 1693 einen eigenen Betsaal, der aber nicht erhalten ist. Die jetzige Synagoge wurde um 1740 gebaut. Sie ist damit die wohl älteste in ganz Niedersachsen, die baulich noch erhalten ist.
Wie hat die jüdische Gemeinde damals den Bau finanziert?
Hierfür mussten Kredite aufgenommen werden, an denen die Gemeinde sehr lange abbezahlte. Finanzielle Erleichterung brachte erst die 1797 erfolgte Stiftung des vermögenden Juden Isaak Jacob Gans.
Die Synagoge steht im Hinterhof und ist aus Fachwerk wie die umliegenden Häuser. Wurde sie aus einem speziellen Grund so unauffällig gestaltet?
Die Juden hatten hinter einer Reihe von Vorderhäusern ein Grundstück erworben, auf dem die Synagoge entstand. Sie wurde direkt an das Vorderhaus angebaut – im Hinterhof deshalb, weil es selten zugelassen war, dass jüdische Gemeinden ihre Synagogen direkt an der Straße errichteten. Es war also üblich, dass die Synagoge versteckt und quasi unsichtbar war.
Weil die Obrigkeit das wollte, oder weil die Juden Angst vor Pogromen hatten?
Sowohl als auch.
Fällt der Bau der Synagoge in eine politisch prekäre Zeit?
Nein. Schwierigkeiten gab es eher in der Ansiedlungsphase der jüdischen Gemeinde. Zwar fanden keine Pogrome statt, aber Einrichtungen wurden beschädigt oder angezeigt, weil es nicht zugelassen war, eine Synagoge zu haben. Mitte des 18. Jahrhunderts, als die Celler Synagoge entstand, hatte sich das etwas beruhigt. Allerdings war es trotzdem nicht möglich, ein solche Gebäude unmittelbar an der Straße zu errichten. Es war wahrscheinlich auch von der jüdischen Gemeinde nicht gewünscht.
Markante Stationen der Baugeschichte dieser Synagoge?
Relativ früh schon, im 18. Jahrhundert, wurde die Frauenempore erweitert, im 19. Jahrhundert dann ein zweites Mal. Traditionell nehmen Frauen zwar nicht unbedingt regelmäßig am Gottesdienst teil, aber das scheint sich im 19. Jahrhundert geändert zu haben. Auch blieb man sich, was das Interieur betrifft, recht konservativ. Das heißt, man hat sich kaum der Reformbewegung angenähert, die eine andere innere Aufteilung der Räume pflog. In Celle blieb es bis 1938 bei der traditionellen Anordnung: In der Mitte war die Bima, ein Pult zur Verlesung der Tora, auf der Ostseite der Toraschrein. Bei reformorientierten Häusern ist das zu einer altarähnlichen Anordnung zusammengefasst.
Wie wirkte sich die Pogromnacht auf die Celler Synagoge aus?
Das Inventar wurde zerschlagen und auf dem Vorplatz zerstört. Die Synagoge wurde beschädigt. Abgebrannt wurde sie allerdings nicht, weil sie als Fachwerkgebäude eng in die Vorstadt eingebaut war. Wenn man die angezündet hätte, hätte man wahrscheinlich die ganze Vorstadt mit abgebrannt.
Was geschah nach dem Krieg mit der Synagoge?
Meist polnische Displaced Persons (DP) aus dem 25 Kilometer entfernten KZ Bergen-Belsen haben sich dieser Synagoge nach der Befreiung des Lagers angenommen. Sehr früh, 1945 schon, wurde das heutige Inventar der ja von den Nazis geplünderten Synagoge angeschafft. Der Toraschrein und das Torapult waren zerstört. Nur ein barocker Aufsatz des Toraschreins ist noch aus der alten Zeit erhalten. Das Unterteil des Schreins, die Bima und die Bestuhlung stammen von 1945. Damit ist Celle wohl die einzige Synagoge, in der das Inventar dieser frühen Nachkriegsphase erhalten ist. Finanziert wurde dies Inventar damals von der Stadt.
Was charakterisiert diese DP-Gemeinden ganz allgemein?
Diese Gemeinden sind ein erst in den letzten zehn Jahren entdecktes Kapitel der jüdischen Nachkriegsgeschichte. Wohl auch, weil diese Gemeinden sehr kurzlebig waren und daher sehr kompliziert zu ergründen. Außerdem waren sie jiddischsprachig, sodass man schwer an Informationen kam. Grundsätzlich waren die DP-Gemeinden einerseits traditionell ausgerichtet, andererseits stark zionistisch geprägt. Eine Integration in Deutschland planten sie nicht. Und in Celle ist ja auch so gut wie niemand von der DP-Gemeinde geblieben.
Wie groß war die Celler DP-Gemeinde?
Sie hatte mehrere hundert Mitglieder. Diese Menschen sind allerdings sehr bald ausgewandert, sodass diese Gemeinde Anfang der 50er Jahre nicht mehr bestand. Danach begann die Synagoge zu verfallen.
Sie wurde gar nicht mehr genutzt, da war niemand?
Da war niemand. Die Synagoge gehörte dem Landesverband der jüdischen Gemeinden in Hannover, die aber mangels Gemeinde auch nichts damit anfangen konnten. Und wenn es nicht der Celler Bürgermeister John Busch verhindert hätte, wäre das Gebäude in den Siebzigern abgerissen worden. So aber wurde Celle 1974 eine der sehr frühen historischen Synagogen in Deutschland, die restauriert und als Museum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Und vor zehn Jahren wurde die heute existierende jüdische Gemeinde gegründet. Außerdem wurde die Erdgeschoss-Räume der Vorderhäuser als Museum eingerichtet.