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Archiv-Artikel

Die Stunde der Quereinsteiger

LEHRERMANGEL Weil in Hamburg die Schülerzahlen weniger zurückgehen als anderswo und der Lehrkörper überaltert ist, bestehen gute Chancen für Quereinsteiger – vor allem in den Mangelfächern

Von den derzeit 16.000 Hamburger Pädagogen werden bis 2015 mehr als 7.000 in den Ruhestand gehen

VON GUNNAR MATZEN

Weil es bundesweit an Lehrern fehlt, setzen die Kultusminister vermehrt auf Quereinsteiger für das Lehramt. Die Überlegung: Seiteneinsteiger haben bereits Erfahrung in ihrem Beruf gesammelt und können diese in den Unterricht einbringen, den sie quasi aushilfsweise erteilen. Nach Feierabend pauken sie Pädagogik und Didaktik, legen nach anderthalb Jahren Ausbildung ihre Prüfung ab und werden als Lehrer eingestellt.

„Vor allem in den Mangelfächern Physik, Mathematik, Chemie und Musik haben Quereinsteiger in Hamburg gute Chancen“, sagte Hendrik Lange, Sprecher der Schulbehörde. Physiklehrer fehlen übrigens sogar an den sonst gut ausgestatteten Gymnasien, an den Berufsschulen mangelt es an Lehrern für Elektrotechnik und Metalltechnik. Geisteswissenschaftlichen Fächer sind eindeutig überrepräsentiert – ein bundesweiter Trend.

Bis zum Jahr 2015 werden in ganz Deutschland 371.000 neue Lehrkräfte gebraucht, doch nur 297.000 werden in dieser Zeit den Vorbereitungsdienst machen. Somit fehlen 74.000 Lehrer. Davon sind alle Bundesländer betroffen. Selbst ein so attraktiver Standort wie Hamburg kann – trotz leicht sinkender Schülerzahlen – seinen Bedarf an Lehrern schon lange nicht mehr decken. Denn während Länder wie Schleswig-Holstein bis 2015 mit einem Rückgang der Schülerzahlen von 20 Prozent rechnen könnten, werden in Hamburg nur etwa sechs Prozent weniger Schüler erwartet – Hamburg gehört zu den deutschen Städten mit der höchsten Zuzugsrate, und es sind vor allem Jüngere, die kommen.

„Dieser verhältnismäßig leichte Rückgang an Schülern“, sagt der Duisburger Bildungsforscher Klaus Klemm in einem Gutachten für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), bringe die Hansestadt um ihre „Demografie-Rendite“ – also die frei werdenden Ressourcen durch den Rückgang der Schülerzahlen, die nach dem Willen der Bundesregierung im Bildungssystem verbleiben sollten.

An Hamburgs Schulen droht der Kollaps: Es unterrichten überdurchschnittlich viele ältere Pädagogen, die bald in den Ruhestand gehen. Klemms Zahlen für Hamburg sind alarmierend: 54 Prozent der Lehrer an den öffentlichen Schulen der Hansestadt waren schon 2007 älter als 50 Jahre. Von den derzeit 16.000 Pädagogen werden bis 2015 mehr als 7.000 in den Ruhestand gehen. Den Schülerrückgang mit eingerechnet, müsste die Hansestadt, so Klemm, bis 2015 jedes Jahr 800 neue Lehrer einstellen.

Doch die Hamburger Universität verlassen pro Jahr gerade mal 700 Absolventen mit dem ersten Staatsexamen, von denen wiederum nur 600 tatsächlich an den Schulen landen – ein Grund mehr, vermehrt auf Quereinsteiger zu setzen.

Interessenten für einen Seiteneinstieg in Hamburg müssen auf jeden Fall einen Universitäts-Abschluss haben und „sollten nicht älter als 42 Jahre sein“, so Lange. Erforderlich sei auch, dass sich der Bewerber bereits regelmäßig bei einer Arbeit mit Kindern engagiert – ein Nachweis sollte der Bewerbung beiliegen. Nach erfolgreicher Bewerbung muss man eine zwei- bis vierwöchige Hospitation an einer Schule machen. Abschließend wird eine Probestunde gehalten, um zu sehen, ob der Beruf etwas für den Bewerber ist.

Hat man die Sache gut gemacht, bekommt man ein 18-monatiges Referendariat – und wird zum Lehrer ausgebildet.