piwik no script img

Archiv-Artikel

„Ein Gleis ist kein Vorgarten“

VERSAMMLUNGSFREIHEIT Das Schleswiger Oberlandesgericht muss entscheiden, ob die Polit-Aktivistin Hanna Poddig der Netz AG, einem Tochterunternehmen der Bahn, Schadenersatz zu leisten hat

Von EST
Anwalt Magsam hält die Bundespolizei für die Verursacherin des Schadens

Wie privat ist die Bahn? Endet die Demonstrationsfreiheit am Gleisbett? Über diese Fragen muss das Oberlandesgericht in Schleswig entscheiden. Dort ging es am gestrigen Freitag um den Fall der Polit-Aktivistin Hanna Poddig, die sich im Februar 2008 in Nordfriesland an ein Gleis gekettet hatte, um gegen Bundeswehrtransporte zu protestieren (taz berichtete).

Im vergangenen Jahr wurde Poddig bereits strafrechtlich verurteilt, nun folgt das Zivilverfahren: Die Netz AG, ein Tochterunternehmen der Bahn, verlangt rund 14.000 Euro Schadensersatz für zersägte Gleise. Das Landgericht Flensburg gab der Netz AG Recht, Poddig und ihr Verteidiger Dieter Magsam gingen in Berufung.

Das Flensburger Gericht hatte geurteilt, dass der Netz AG Geld zustünde, schließlich sei der Schaden nur entstanden, weil Poddig sich angekettet habe. Der Vorsitzende Richter in Schleswig erklärte am Freitag, bei einer privatrechtlichen Frage hätten „Grundrechte weniger Relevanz“. Auch die Demonstrationsfreiheit sah er nicht gefährdet: Sie gebe nicht das Recht, sich auf einem Grundstück gegen den Willen des Besitzers zu versammeln. „Ein Verhalten, das normalerweise nicht gestattet ist, kann durch die Versammlungsfreiheit nicht erlaubt werden“, argumentierte er.

„Sie können nicht so tun, als wäre ein Gleis Lieschen Müllers Vorgarten“, protestierte Magsam. Die Bahn sei Teil des Gemeinwesens und dürfe nicht rein privatrechtlich behandelt werden. Er warnte davor, dass dies angesichts weiterer Privatisierungen auf immer mehr Bereiche der Gesellschaft zutreffen könnte. Das Gericht sah das anders: „Auch wenn es die öffentlich-rechtliche Deutsche Bahn noch gäbe, könnte sie Schadensersatz fordern“, so der Richter.

Magsam hält dagegen nicht Poddig, sondern die Bundespolizei für die Verursacherin des Schadens: Denn die Beamten, die auf dem Bahngelände zuständig waren, hatten angeordnet, die Gleise aufsägen zu lassen. Dabei hatte die Landespolizei, die in der fraglichen Februarnacht ebenfalls dabei war, die Demonstration nicht aufgelöst. Das Oberlandesgericht werde das in seine Überlegungen einbeziehen, versprach der Vorsitzende. Das Urteil fällt Ende Februar. EST