: Nicht wirklich
TIEFSEE Die Fotografin Annette Hauschild hat sich auf die Suche nach dem Atlantis des 21. Jahrhunderts gemacht. Ihre Bilder zeigen Menschen und Orte zwischen Auf- und Abtauchen
Wo liegt Atlantis? Jene versunkene Stadt, das Riesenreich, das Plato schon im Altertum beschrieben hat? Der achte Kontinent, auf den sich die Sehnsucht der Menschheit noch heute richtet? Ist es untergegangen auf ewig? Oder ist Atlantis längst wieder aufgetaucht – in Gestalt des Träumerischen, dem das Alltägliche innewohnt?
Die Berliner Fotografin Annette Hauschild hat sich auf den Weg gemacht, sie hat gesucht nach den Bildern von Orten, denen Menschen diesen mystischen Namen gegeben haben. Die eine Idee davon hatten, was es bedeuten könnte, wenn sie ihrem Hotel, ihrem Geschäft, ihrer Bar diesen Namen geben.
Vom Dezember 2008 bis zum November 2009 ist Hauschild, Mitglied der Ostkreuz-Agentur der Fotografen, durch die Welt gereist, um das Atlantis des 21. Jahrhunderts zu finden. Sie hat geschaut, wo es auftaucht aus dem Alltäglichen, mitunter geduldig gewartet. Sie fand es schließlich in jenem Krakauer Hotel „Atlantis“, in dem im Schein der Wandlampe eine Frau im blauen Pullover aufs Teewasser wartet. Hinter dem Hotel ducken sich die Mülltonnen in den Schatten der Hofwand – dahinter die offene Fläche zur Stadt.
Oder in New York, wo die Fotografin einfach in den Club „Atlantis“ gegangen ist und sich „zwei, drei Nächte dort mit den Männern oder Frauen rumgetrieben“ hat. Das, sagt sie, „war ein Hispanic-Gayclub, eine geschlossene Welt, mit dem Abend für Abend gleichen Mikrokosmos von Gästen“. Erkennt man Atlantis auf jener bläulich flimmernden Showbühne, sieht man es in der hingegossenen Backstage-Schönheit mit der ausgeprägten Wadenmuskulatur? Das müssten die Betrachter selbst herausfinden, sagt Hauschild – „es geht nicht darum, wirklich etwas zu erklären“.
Jeder Mensch auf den Fotos wusste, wonach diese Frau suchte, welches Thema sie mit ihrer Mittelformatkamera auf dem Stativ verfolgte. Sie hat es ihnen vorher gesagt. Sie haben sie suchen lassen, haben sie zuschauen lassen beim Treiben im Secondhandshop „Atlantis“, wo Superman alles reglos von der Decke aus beobachtet.
Sie haben Hauschild auch mitgenommen durch das unwirtliche Gewirr des belgischen Wohnparks „Atlantis“, wo der Hausmeister im Nebenberuf singt, den schönen Künstlernamen Pat Morino trägt und wie ein verzagter Zerberus den Eingang zum Countryclub bewacht. Irgendwann, wenn dieser graue belgische Winter vorüber ist, wird er wieder erwachen.
In Offenbach schließlich fand Annette Hauschild ein Stück Unterwasserwelt. Die Firma „Atlantis-Schwämme“ ist ein Einfrauunternehmen, in einem Zweckbau ohne Heizung werden von wenigen Mitarbeitern die Kundenbestellungen zusammengesucht. Dann passieren sie in riesigen Säcken die blaue Schwingtür aus Hartplastik, um verkauft zu werden an Menschen, die Wasser aufsaugen, beiseitewischen wollen. Um etwas darunter zu finden. Was? „Wenn man sich drauf einlässt“, sagt Annette Hauschild, „kriegt man Bilder geschenkt.“ Etwas Unglaubliches: Atlantis. ANJA MAIER
■ Annette Hauschild: „Atlantis“. Reportage für das Ausstellungsprojekt „Die Stadt: Vom Werden und Vergehen“ der Ostkreuz – Agentur der Fotografen. Katalog: Hatje Cantz Verlag, 2010, 296 Seiten, 49,80 Euro