Verkeilt in der eigenen Erfolgsstory

NEID Nicole Krauss ist schön und schreibt. Darum erntet ihr neuer Roman, Das große Haus, Häme

Zugegeben: Krauss ist so schön, begabt und berühmt, dass es kaum auszuhalten ist

VON SUSANNE MESSMER

Es ist bestimmt hartes, graues Brot, sich jeden Tag in München oder Frankfurt in die U-Bahn zur Redaktion zu quetschen, auf Konferenzen um seine Themen ringen und anschließend in einem Kleinraumbüro bei einer Tasse Nespresso auf einem Designerstuhl originelle Gedanken fassen zu müssen. Anders jedenfalls kann man sie sich nicht erklären, die Häme, die das bürgerliche Feuilleton derzeit über ein Buch ausschüttet, das von einer der schönsten, begabtesten und berühmtesten Autorinnen stammt, die Amerika gerade zu bieten hat. Zugegeben: Nicole Krauss ist so schön, begabt und berühmt, dass es kaum auszuhalten ist. Sie ist eine New Yorker Jüdin, Glamour pur. Aber was das Schlimmste ist: Sie ist mit dem Autor Jonathan Safran Foer verheiratet, den begabt und berühmt zu nennen noch eine Untertreibung wäre.

Nicole Krauss’ neues Buch, „Das große Haus“, so heißt es, sei makellos manikürt, redundant und gefühlig (SZ), hochsentimental und hohl dröhnend (FAZ). Krauss, die seit dem letzten Roman „ihrem Mann zwei Kinder geboren“ habe, sei eine „schreibfreudige höhere Tochter“, die „einfach so vor sich hin“ fabuliere. Diese Kritik an Nicole Krauss erinnert verdächtig an den Umgang mit Siri Hustvedt, die bessere Bücher schreibt als ihr Mann Paul Auster. Auch Hustvedt wird vorgeworfen, wie verbildet sie sei, wie konstruiert ihre Romane seien. Die Frauen der Genies, ein altes Thema, das immer noch hohe Wellen schlägt.

Das Buch, um das es dabei gehen sollte, gerät bei all dieser Aufgewühltheit etwas aus dem Blick. „Das große Haus“ ist zwar durchaus kompliziert, es ist aus der Perspektive vieler Figuren geschrieben, die nur lose miteinander verknüpft sind, und das Zentrum des Buches ist, scheinbar, nichts als ein alter Schreibtisch. Ein Ungetüm, das die klare Sicht versperrt und das man, wenn es sich einmal in der Wohnung verkeilt hat, kaum je wieder loswerden wird.

Statt den genauen Umständen dieser Verkeilung nachzugehen, stellen Krauss’ Kritiker lieber die aktuellen Lebensumstände der Autorin heraus. Sie, die seit dem letzten Roman eine Familie gegründet hat, habe wohl aus Zeitnot alte Geschichten zu einem Roman verklebt, heißt es. Natürlich ist es unzulässig, ein Buch mit den privaten Nöten seiner Autorin zu erklären. Aber wenn man sich schon auf diese Ebene begibt, muss man tiefer in die Truhe greifen. Zumindest gilt das für mich, die Autorin dieser Kritik, die ebenfalls vor lauter Kritik der Kritik schwer zur Sache kommt.

Als ich las, dass Nicole Krauss in Interviews sagte, sie habe ihr Buch geschrieben, während sie stillte, da sprang ich auf und wühlte nach alten Ordnern aus der Studienzeit. In der Akte „feministische Literaturwissenschaft“ fand ich: Irmtraud Morgner. Diese schillernde Figur der deutschen Nachkriegsliteratur ließ eine ihre Figuren einmal sagen: „Die orthodoxe Romanform verlangt Festhalten an einer Konzeption über mehrere Jahre. Sie entspricht nicht dem gesellschaftlich bedingten Lebensrhythmus einer gewöhnlichen Frau, die ständig von haushaltsbedingten Abhaltungen zerstreut wird. […] Ein Mosaik ist mehr als die Summe der Steine. […] Lesen soll schöpferische Arbeit sein.“

Leser wie ich, die auch beim Lesen gern arbeiten, werden Freude haben am Montageroman der Nicole Krauss. Sie werden vergnügt eine Autorin imaginieren, die diesen Roman trotz Babybetreuung gleichsam zwischen Tür und Angel geschrieben haben muss. Natürlich ist es Unfug, dem Buch deshalb vorzuwerfen, es habe gar kein Thema. Denn alle Romanfiguren, die entweder an besagtem Schreibtisch arbeiten, ihn hergeben müssen, suchen oder von jemandem, der ihn sucht, überfahren werden, kämpfen mit demselben Problem.

Das klobige Möbel ist nur eine Materie gewordene Schwere, mit der es alle Figuren zu tun haben: mit der Last eines Erbes, das sie nicht ausschlagen können und das sie weitergeben müssen, auch wenn sie es nicht wollen. Es geht, grob gesagt, um das nachgewiesene Phänomen, dass manche Menschen dick werden, weil ihre Großeltern hungern mussten. Und während man dies herausfindet, hängt man den Figuren aus dem „Großen Haus“, die darüber so unzusammenhängend räsonieren, wie es das Thema Erinnerung verlangt, an den Lippen. Denn Nicole Krauss mag schwer und schwierig sein – sie schreibt so klug und vital, dass man die Schwere dahinter oft vergisst.

Nicole Krauss: „Das große Haus“. Aus dem Englischen von Grete Osterwald. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011, 384 Seiten, 19,95 Euro