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Archiv-Artikel

Unsouveräner Souverän

Staatspräsident Hugo Chávez verweigert dem quotenstärksten TV-Sender Venezuelas die Verlängerung der Sendelizenz. Experten warnen vor der Einschränkung der Meinungsfreiheit

AUS CARACAS FRIEDRICH WELSCH

Radio- und Fernsehsender brauchen Medienwächter, die ihnen auf die Finger schauen und beurteilen, ob ihre Programme etwa mit den geltenden Kinder- und Jugendschutzbestimmungen vereinbar sind.

Dass infolgedessen Unterlassungs- und Strafbescheide anfallen und es gelegentlich – wie kürzlich in Großbritannien – zu drastischen Eingriffen wie Abschaltung oder gar zeitweiligem Entzug der Sendelizenz kommt, wird besonders bei Nischensendern niemanden überraschen.

Wenn aber der Staatschef eines Landes – in diesem Fall Venezuelas Präsident Hugo Chávez – in seiner weihnachtlichen Grußbotschaft an das Militär verkündet, er habe die „souveräne“ Entscheidung getroffen, dem Fernsehkanal mit der höchsten Einschaltquote die Verlängerung seiner Sendelizenz zu verweigern, muss man wie Josè Miguel Insulza, Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), deutlich werden und vor der Einschränkung der Meinungsfreiheit warnen. Vor allem, wenn die Begründung zum faktischen Lizenzentzug lautet, die Eigentümer des Senders seien oligarchische Putschisten, denen er, Chávez, rate, ihre Koffer zu packen. Dass er zudem im Fernsehen Insulza als „Idiot“ beschimpfte und seinen Rücktritt forderte, dürfte auch nicht gerade zur Deeskalation beigetragen haben.

Präsidenten-Entscheidung

Hintergrund der Entscheidung des Souveräns Chávez, die laut geltendem Recht nicht ihm als Staatspräsidenten, sondern der Medienbehörde Conatel zusteht, ist das Verhalten der Sender beim Militärputsch, der ihn im April 2002 für zwei Tage aus dem Amt trieb: Die privaten Fernsehkanäle hatten ihr Informationsgebot missachtet und nicht über die Chávez-freundlichen Massendemonstrationen berichtet.

Jede Entscheidung seitens Conatel wiederum müsste laut Gesetz begründet werden, Widerspruchsfristen einräumen und dem Rechtsweg offen stehen. In diesem Zusammenhang ist aber festzustellen, dass zu keinem Zeitpunkt irgendeine Behörde oder Person einen dieser Kanäle nach dem seit dem Jahr 2000 gültigen Mediengesetz auf Unterlassung der Informationspflicht oder Fälschung von Tatsachen verklagt hat. Der Putschismus-Vorwurf gegen einen dieser privaten Sender, Radio Caracas Televisión, soll eine Anstalt treffen, die ihre Linie einer scharfen Kritik an Chávez und seiner Regierung beibehalten hat.

Die beiden anderen quotenstarken Privatsender, Venevisión und Televén – die sich im Jahr 2002 als ebensolche TV-Putschisten verhielten und ebenfalls auf die Verlängerung ihrer Sendelizenz warten, sind inzwischen eingeknickt. Sie haben sich mit Staatspräsident Hugo Chávez arrangiert und werden deshalb nicht mit Abschaltung bedroht.

Die venezolanische Fernsehlandschaft ist vielfältig: Conatel verzeichnet knapp 350 TV-Stationen, von denen aber nur 14 als überregional eingestuft werden können. Zwei dieser überregionalen Anstalten beherrschen die Szene: die abschaltungsbedrohte Radio Caracas Televisión mit einer Quote von rund 40 Prozent und Venevisión mit etwa 30 Prozent; zwei weitere Private, nämlich Televén und der Nachrichtenkanal Globovisión, runden das Bild ab. Der Staatskanal Venezolana de Televisión – dem die Lizenz von Radio Caracas Televisión zugeschustert werden soll – kommt nur auf eine magere Quote von etwa zwei Prozent.

Rechtliche Grundlagen

Aus rechtlicher Sicht wird die ausschließlich politisch motivierte Antwort auf die Frage der Verweigerung oder Gewährung von Sendelizenzen besonders deutlich. Bereits seit Juni 2000 gilt das Organgesetz für Telekommunikation, in dem die Umwandlung bestehender Sendelizenzen in neue Konzessionen gemäß Gesetz geregelt ist.

Für die Umwandlung gilt ausdrücklich eine Frist von zwei Jahren. Alle privaten Lizenznehmer beantragten bei der zuständigen Medienbehörde Conatel innerhalb der gesetzlichen Fristen die Umwandlung ihrer bestehenden Sendelizenzen im Sinne des Gesetzes. Aber die Behörde hüllte sich in Schweigen und traf keine Entscheidung. In der „Endgültigen Lizenzliste Dezember 2006“ von Conatel ist kein einziger der privaten Lizenznehmer aufgeführt und – schlimmer noch – auch kein einziger Lizenznehmer aus dem Kreis der staatlichen Anstalten.

Angesichts dieser Fakten verdient die Warnung des OAS-Generalsekretärs Insulza vor der Einschränkung der Meinungsfreiheit in Venezuela aus demokratischer Sicht jede Unterstützung; die Mitglieder der OAS stärkten ihrem Generalsekretär zu Beginn der Woche mit großer Mehrheit den Rücken.

Friedrich Welsch ist Politikprofessor an der Universität Simón Bolívar in Venezuelas Hauptstadt Caracas