Linkspartei covert ihren alten Schlager
Auf der Klausurtagung der Linksfraktion in Bremen variieren Oskar Lafontaine und Gregor Gysi den traditionellen Evergreen von der sozialsten Partei des Landes. Der neue Refrain lautet: Wir wollen eine Börsensteuer und die bringt 38 Milliarden Euro
„Wir befreien die Millionäre von ihrer Gewissensnot“
AUS BREMEN JENS KÖNIG
Es soll ja noch Menschen geben in diesem Land, die vor der ach so bösen Linkspartei regelrecht Angst haben. Die glauben, diese Kommunisten wollten, wenn sie denn könnten, den schönen Kapitalismus lieber heute als morgen abschaffen. Als sich die Bundestagsfraktion „Die Linke“ Mitte der Woche zu ihrer Klausurtagung in Bremen trifft, erscheint im Weser-Kurier ein aufgeregter Bericht, wonach der Verfassungsschutz vor der Linkspartei.PDS ausdrücklich warnt. Diese habe, zitiert der Journalist den aktuellen Bericht des Bremer Verfassungsschutzes, immer noch die „schrittweise Überwindung“ des Gesellschaftssystems der Bundesrepublik im Sinn. „Vor diesem Hintergrund sorgt es für Aufmerksamkeit“, schreibt der Weser-Kurier atemlos, „dass Besucher mit diesen politischen Wurzeln morgen im Stammsitz der Landesregierung zum Neujahrsempfang laden“.
Als sich die Linksfraktion am Mittwochabend zu ihrem Neujahrsempfang dann tatsächlich im heiligen Rathaus trifft, lässt sich Oskar Lafontaine die Geschichte mit dem Verfassungsschutz natürlich nicht entgehen. Er habe lange überlegt, welchen Grund er dem Verfassungsschutz für die Beobachtung geben könnte, erzählt der Fraktionschef. Er habe schließlich einen gefunden. „Es muss wenigstens eine Partei geben, die weiß, was in der Verfassung steht“, sagt Lafontaine. Dann zitiert er den Satz von dem Eigentum, das verpflichte und dem Gemeinwohl diene, und er fügt hinzu, dass die Linken die einzigen seien, die die Vermögenden stärker an der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben beteiligen wollen. „Keine Angst, liebe Millionäre, wir wollen Ihnen nicht alles nehmen“, schickt Lafontaine noch hinterher. „Wir wollen Sie nur von einer Gewissensnot befreien – der Sorge, dass Ihr Eigentum nicht dem Gemeinwohl verpflichtet ist.“
Der jüngste Vorschlag der Linksfraktion zur allgemeinen Befreiung von einer Gewissensnot betrifft die Einführung einer einprozentigen Börsenumsatzsteuer. Er stand im Mittelpunkt der zweitägigen Klausur. Die Fraktion einigte sich auf einen entsprechenden Antrag, den sie noch im Januar in den Bundestag einbringen wird.
Um die Befürchtung des Verfassungsschutzes auszuräumen, eine solche Börsenumsatzsteuer sei der erste Schritt zur Systemüberwindung, verwies Lafontaine gern auf das Beispiel Irland; dort werde eine Börsenumsatzsteuer von einem Prozent erhoben. Zunächst wäre die Linksfraktion auch mit der britischen Lösung zufrieden, räumte Lafontaine ein; an diesem „neoliberalen Finanzplatz“ betrage diese Steuer 0,5 Prozent. „Wir können für all unsere Vorschläge andere Länder als Beispiel anführen“, assistierte Gregor Gysi. „Und diese Länder sind alles mögliche – nur nicht sozialistisch.“
Für die Linkspartei ist die Börsenumsatzsteuer ein neues Instrument, mit dessen Hilfe sie ihren Evergreen „Wir sind die sozialste der Parteien“ in leicht veränderter Melodie neu aufführen kann. Die Rechnung von Lafontaine und Gysi ist dabei ganz einfach: Bei einem Börsenumsatz in Deutschland von 3,8 Billionen Euro entspricht 1 Prozent 38 Milliarden Euro. Eine Verminderung der kurzfristigen spekulativen Käufe und Verkäufe unterstellt, würden immer noch rund 30 Milliarden Euro Steuern bleiben. „Damit können Sie den ganzen Tinnef der anderen Parteien bezahlen“, sagt Lafontaine leicht verächtlich, wobei er mit „Tinnef“ die „unseriösen Versprechen“ von SPD und CDU meint: Becks Vorschlag mit den kostenlosen Kitas bis 2010 ebenso wie Rüttgers’ Idee von der längeren Zahlung des Arbeitslosengeldes I für Ältere. Praktischerweise könnte die Linksfraktion davon auch gleich noch ihr zweites Konzept finanzieren, das sie in Bremen präsentierte. Mit der Einrichtung eines öffentlichen Beschäftigungssektors sollen 500.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Die Linke eine Partei mit Gebrauchswert? Dieses Signal hätte die Fraktionsspitze gern aus Bremen gefunkt. Aber der heimliche Star der Klausur war ein Thema, das unter starkem Ideologieverdacht steht: Darf die Linkspartei regieren? Dreieinhalb Stunden diskutierten die Abgeordneten mit einer Berliner Abordnung über die Neuauflage des rot-roten Senats in der Hauptstadt. Das Ergebnis? Lautet in der Kurzzusammenfassung so: Wir sollten in Zukunft mehr darüber reden.