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Archiv-Artikel

Da hilft nur eine Orgie

JUNGES THEATER Rache an Sarrazin: Keiner hat sein Buch so gut zu nutzen gewusst wie die Affen, die 2111 über Deutschland herrschen: „Clash“ am Deutschen Theater

An den Kammerspielen des Deutschen Theaters sind es frustrierte Jugendliche, die in die Zukunft reisen, weil sie die Welt nicht mehr verstehen: Wann entstanden unsere Probleme miteinander? Mit dem 11. September? Dem Sündenfall? Ist der Kapitalismus schuld oder die Religion?

VON BARBARA BEHRENDT

Nehmen wir an, Thilo Sarrazin hätte recht mit seinen Thesen, und ganz Deutschland glaubte, was DAS BUCH verkündet hat – wie und wo lebten wir dann in hundert Jahren? Auf dem Planeten der Affen, gibt Nurkan Erpulats neues Stück „Clash“ zur Antwort, und unter deren Herrschaft. Wobei die Affen hier für all die laut Sarrazin genetisch und intellektuell zurückgebliebenen Integrationsverweigerer stehen.

Sie haben sich an die Herrschaft gebracht, indem sie allen Regeln DES BUCHES folgten. Die ihnen dienenden Menschen, in hässlichen Trainingsanzügen und mit Aldi-Tüten, bekommen nur dann ihr „Hartz“, wenn sie die Straßen von abgegessenen Knochen säubern. Die Affen wären ja bereit, sie zu integrieren, aber wie soll das mit diesen „Assis“ klappen, die keine Banane von der anderen unterscheiden können und nicht mal ein Kapitel aus DEM BUCH kennen?

Ein satirisches Science-Fiction-Horrorszenario hat der türkische Regisseur mit 16 Jugendlichen und der Theaterpädagogin Dorle Trachternach entworfen. „Clash“ ist locker an den Kultfilm „Planet der Affen“ angelehnt: Astronauten landen nach einer Zeitreise auf einem scheinbar fremden Planeten. Es ist aber die Erde, nur die Herrschaftsverhältnisse haben sich umgekehrt. An den Kammerspielen des Deutschen Theaters sind es frustrierte Jugendliche, die in die Zukunft reisen, weil sie die Welt nicht mehr verstehen: Wann entstanden unsere Probleme miteinander? Mit dem 11. September? Dem Sündenfall? Ist der Kapitalismus schuld oder die Religion?

„Clash“ entstand in der Reihe Junges DT, einer Schnittstelle zwischen dem Theater und seinem Publikum. Denn das Junge DT bringt Stücke in Schulen und inszeniert mit Laien und jungen Schauspielern im eigenen Haus Stoffe, in die möglichst auch die eigenen Perspektiven der Darsteller miteinfließen sollen. In „Clash“ nehmen sie mit ansteckendem Enthusiasmus Klischees über Deutsche, Türken und Araber aufs Korn. Ein Pappraumschiff wird dabei herabgelassen, für Absturzgeräusche und die sonstige Soundkulisse sorgt eine kleine Band mit wechselnder Besetzung.

In den besten Momenten ist auf der Bühne eine intelligente, bissige Selbstironie zu spüren – beispielsweise wenn Marcel Heuperman verzweifelt versucht, das bedrohliche „Ey, ich weiß, wo du wohnst!“ zweier Türken in der U-Bahn als freundliche Einladung zu interpretieren. Oder wenn der Integrations-Bambi dem türkischen Starkicker entrissen wird, weil er nicht die deutsche Nationalhymne singen will. Das ist so treffend und so absurd! In seinen schwächeren Szenen wird der Abend zu einer Anekdotenrevue, die den jungen Darstellern (verständlicherweise) genügend Platz zum Singen und Spielen bieten will. Dann ist die Affengeschichte nur die große Klammer, mit der möglichst viel Unverbundenes zusammengehalten werden soll.

„Clash“ erinnert auch an Nurkan Erpulats Erfolgsstück „Verrücktes Blut“ am Ballhaus Naunynstraße: Eine Deutschlehrerin zwingt darin ihre Migrantenschüler mit einer Pistole zum Schiller-Lesen, bis sie sich schließlich selbst als Türkin outet. Spätestens seit „Verrücktes Blut“ ist der Regisseur zum Star eines intelligenten, postmigrantischen Theaters geworden. Auch im Ballhaus vermisst man unter den vielen Abziehbildern gelegentlich einen greifbaren, schmerzfähigen Charakter. Aber die ironischen Stiche und Hiebe ins gesellschaftliche Selbstverständnis sitzen trotzdem.

Mit einem sarkastischen Happy End endet „Clash“. Die Jugendlichen wissen, was zu tun ist: „Ficken, bis es nur noch eine Hautfarbe gibt!“ Witziger als mit der folgenden Orgie kann man sich nicht an den Schreckensbildern der Sarrazin-Debatte rächen.

■ Wieder am 11. und 21. 2. im DT