: Land sehr energisch für Europa
Zu viel gewollt? Nach dem ersten Krach um die Stromversorgung wirft die Opposition der NRW-Landesregierung vor, falsche Prioritäten für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft gesetzt zu haben
VON KLAUS JANSENUND MARTIN TEIGELER
Es musste gleich eine „Mission“ sein. Mit diesem Wort überschrieb die schwarz-gelbe Landesregierung ihr Konzept für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Nach nur zwei Wochen Merkelschem Regententum in Europa ist Nordrhein-Westfalens großer Auftrag vom Scheitern bedroht. Mit Energiepolitik wollte die Düsseldorfer Koalition während der Zeit des deutschen Vorsitzes in Brüssel punkten. „In NRW werden 40 Prozent der gesamten Energie Deutschlands produziert und verbraucht. Insofern haben wir großes Interesse daran, dass wir in Europa zu einer gemeinsamen Energie-Außenpolitik kommen“, hatte NRW- Europaminister Michael Breuer (CDU) vor Beginn der sechsmonatigen deutschen EU-Ratspräsidentschaft offensiv angekündigt. Die deutsche Ägide sollte vor allem genutzt werden, um Kraftwerksprojekte und Energieinvestitionen an Rhein und Ruhr voranzutreiben.
Doch seit der Ankündigung der EU-Kommission, die in NRW beheimateten Energiekonzerne RWE und Eon zu zerschlagen, befinden sich die NRW-Europapolitiker in der Defensive: „Wir können nur hoffen, dass diese Frage noch nicht gegessen ist. Es darf nicht zu Enteignungen kommen“, sagt der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul. „Es gibt unterschiedliche Auffassungen bei diesem Thema, aber wir machen da keine Kompromisse“, so der FDP-Landtagsabgeordnete Dietmar Brockes.
Die Opposition seziert bereits den Fehlstart der NRW-Mission. „Die Landesregierung hat ihre Rolle falsch eingeschätzt“, sagt Ex-Europaminister Wolfram Kuschke – seit dem Regierungswechsel 2005 SPD-Landtagsabgeordneter und europapolitischer Sprecher seiner Fraktion. „Deutschland hat die Präsidentschaft und darf deshalb nicht vorpreschen, sondern muss moderieren“, so der Parlamentarier. Zwar sei der inhaltliche Schwerpunkt Energiepolitik richtig gewählt, aber Schwarz-Gelb habe die falsche Taktik gewählt. NRW müsse bescheidener auftreten, so Kuschke: „Wir sind nur ein Bundesland in einem Mitgliedstaat von 27 EU-Ländern.“
Auch der frühere grüne Landesvorsitzende und jetzige Europaparlamentarier Frithjof Schmidt kritisiert das Konzept der Landesregierung – wegen der Verengung auf konzernfreundliche Energiepolitik. „Sie stellt sich vor allem in den Dienst der heimischen Industrie“, sagt er. Initiativen zu entscheidenden Politikfeldern wie Klimaschutz und Integration fehlten völlig. „NRW betätigt sich nicht als Schrittmacher, sondern reiht sich in den Schlenderschritt der anderen ein“, sagt Schmidt.
Unabhängig von inhaltlichen Differenzen gesteht er der Landesregierung jedoch zu, dass sie den NRW-Interessen in Europa neues Gewicht verleiht. „Sie bemüht sich, Profil zu zeigen“, sagt der Grüne. Ein Tempomacher in Europafragen ist das bevölkerungsreichste Bundesland damit allerdings noch lange nicht – zu lange wurde dem Auftritt bei der EU-Kommission in Brüssel zu wenig Beachtung geschenkt. „Länder wie Bayern waren in Europa über Jahre präsenter. Das lässt sich nicht so schnell aufholen“, sagt der CDU-Politiker Reul.
Nun fällt Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den EU-Verhandlungen die Aufgabe zu, auch NRW-Interessen zu vertreten – Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (beide CDU) sitzt zumeist nicht mit am Tisch. Immerhin bleibt NRW im ersten Halbjahr 2007 die Rolle eines Schauplatzes der Europapolitik. So treffen sich die EU-Gesundheitsminister in Aachen – auch weitere Arbeitstreffen von Europa-, Bundes- und Landespolitikern sind im Land geplant. Zudem finden in vielen Städten Bürgerfeste und andere Veranstaltungen statt, um Deutschlands halbes Europajahr zu feiern (siehe unten). Dort kann die Landesregierung ihr Ziel weiterverfolgen, „Europa den Menschen näher zu bringen“ – als Gastgeber, nicht als Missionar.