Die getriebene Politik

DIE SOMMERPAUSE BEGINNT

Regieren mit ruhiger Hand? Eher zittert sie. Bald könnte sie sogar ausrutschen

Kurz vor den Sommerferien durften sie sich ausruhen. Bei hübschem Wetter und etwas Grillgut saßen Berlins Senatorinnen und Senatoren am Mittwochabend zur Klausur in Schloss Britz zusammen – und redeten ausdrücklich nicht über negative Vibrations. Stattdessen hatte die Senatskanzlei ein Papier über den demografischen Wandel vorgelegt, neuerdings wachsende Stadt genannt. Klingt gut, schafft aber auch keine Ruhe. Zwar wächst Berlin. Aber auch der Problemdruck der Senatskoalition, wie die folgende – unvollständige – Halbjahresbilanz 2014 zeigt.

Angefangen hat es im Januar mit dem Flüchtlingscamp am Oranienplatz. Innensenator Frank Henkel (CDU) wollte räumen, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) kündigte Verhandlungen an.

Sechs Monate später war die Koalition fast schon zerrüttet, als Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) seine Anwälte auf Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) hetzte. Der hatte Heilmann zuvor beim Thema Gaskonzession Befangenheit unterstellt. In letzter Minute schlichtete Wowereit.

Doch nicht nur am Senatstisch hing der Haussegen schwer schief, auch in Wowereits SPD. Als im Februar bekannt wurde, dass Kulturstaatssekretär André Schmitz Steuern hinterzogen hatte, reagierte der Regierende gewohnt wurschtig. Am liebsten hätte er alles ausgesessen. SPD-Landeschef Jan Stöß machte aber Druck, worauf Schmitz zurücktrat. Seitdem ist das Tischtuch zwischen Wowereit und Stöß zerschnitten.

Und dann ist da noch die Nachfolgerfrage in der SPD. Im April ließ Fraktionschef Raed Saleh durchblicken, dass er auf dem Landesparteitag Mitte Mai gerne Parteichef Stöß ablösen würde. Am Ende machte Saleh einen Rückzieher, Stöß blieb im Amt. Immerhin: Ein Königsmörder konnte sich so nicht in Position bringen.

Als ob das nicht genug wäre, setzten auch die Bürger dem angeschlagenen Senat und der desolaten SPD zu. Seit März sammelt eine Volksinitiative für den Rücktritt Wowereits und Neuwahlen. Ende Mai votierte eine überraschend große Mehrheit der Berliner gegen eine Bebauung des Tempelhofer Felds.

Das Klima der Koalitionspartner ist auf dem Tiefpunkt. Das in der SPD ebenfalls. Und irgendwie auch das zwischen Bürger und Politik. Schließlich gibt es ja auch noch die Dauerbaustelle BER.

Folgende Schlüsse lässt diese kleine Chronologie zu:

1. Regieren mit ruhiger Hand? Das mag des Exkanzlers Schröder Sache gewesen sein. Wowereits Hände zittern inzwischen. Gut möglich, dass ihm eine davon bald ausrutscht.

2. Politik, heißt es, sei Gestalten. In Berlin wirkt die Koalition wie eine Getriebene. Das nächste halbe Jahr wird bestimmt nicht besser. UWE RADA