: Ich bin so
IDEAL Elf Jahre lang porträtierte Jen Davis ihren Körper. Sie war dabei so rau wie die Gesellschaft zu ihr. Eine Fotoreportage über Sinn
■ Die Fotografin: Jen Davis, 35, hat an der Yale University in den USA Fotografie studiert. In ihren Arbeiten setzt sie sich mit Schönheit und Identität auseinander. Davis selbst hat in wenigen Jahren 50 Kilogramm abgenommen. Sie lebt in Brooklyn.
■ Die Bilder: Als sie mit 23 noch keinen Freund hatte, begann Davis mit der Serie von Selbstporträts „Eleven Years“: Sie dokumentierte ihren Körper und testete mithilfe der Kamera ihre Wirkung auf Männer.
Beide Hände halten ihr Kleid, als wolle sie sich drehen, tanzen, nach Sommer fühlen und vergessen, vielleicht auch, wer sie ist. Jen Davis fällt Licht auf den Rücken, die Kniekehlen, die Träger sind von ihren Schultern gerutscht. Sie will leicht sein, und sie will zeigen, dass sie nur schwer leicht sein kann. Für Zartheit kennt sie die Voraussetzungen – aber was nützen die bei Selbstporträts, wenn man Übergewicht hat, zu groß ist für die eigene Umgebung. Dauerdeplatziert, irgendwie.
Dann lieber draufhalten. Zeigen, wie sich der Bauch faltet, wie Cellulite die Haut verformt. Schaut euch diese Schenkel an, diesen Körper, nichts als Fleisch – das ist meiner. Elf Jahre hat Jen Davis ihre Selbstverachtung fotografiert, die Rauheit, mit der sie sich sieht: Das bin ich beim Duschen, und hier, das ist mein Doppelkinn, ganz nah. „Ich wollte da sein, ich wollte die Welt fühlen“, sagt sie. – Legt man so den Kopf zur Seite, um schön zu sein? Und Beachtung, woher kommt die?
„Untitled“ heißen viele der Aufnahmen, auf denen sie alleine ist, auf dem Sofa liegt, in Unterwäsche rumsteht und darauf zu warten scheint, dass die Langeweile aufhört. „Fantasy“ heißen manche der Bilder, für die sie Männer um flüchtige Berührung gebeten hat. Im Bett sollten sie den Arm um sie legen, vor zugezogenen Gardinen ihr Gesicht an sich ziehen – wie Verzehren so ist, wollte Jen Davis wissen. Sie hat sich ausgestellt dafür, Kompositionen für ihre Träume gesucht, sie sagt: „die Kamera zu einem Liebhaber gemacht“. Dass sie einen „hyperrealistischen Spiegel“ ihrer Sehnsüchte und Sexualität gebraucht hat, etwas zum Vergewissern, einen Identitätsausweis.
Sie sei auch nicht geheilt, das Leben nicht einfach gut geworden, meint Davis; 2011 ließ sie sich ein Magenband aus Silikon einsetzen, das den Hunger hemmt. Aber vor lachenden Kindern hat sie mittlerweile weniger Angst. Sie kennt jetzt Romantik und fährt U-Bahn, zwischen zwei Menschen, auf einem Sitz. Sie ist jetzt leichter, 49 Kilogramm.
ANNABELLE SEUBERT
■ Die Fotografien stammen aus dem kürzlich erschienenen Buch „Jen Davis. Eleven Years“. Kehrer Verlag, Heidelberg/Berlin 2014, 128 Seiten, 39,90 Euro