: Der virtuelle Arm des Kreml
VON MELANIE ZERAHN
Boris Reitschuster hat Humor, das muss man ihm lassen. Mit einem Arzt aus München macht er Witze über die Art einer möglichen Vergiftung. „Den Galgenhumor gewöhnt man sich an“, sagt er lachend, „das ist meine Art, damit fertig zu werden.“ Der 35-Jährige Journalist steht unter Druck. Mit seinem Buch „Putins Demokratur“ traf er eine empfindliche Stelle des russischen Staatsapparats. Es sei „selbstmörderisch“, so ein kritisches Werk zu veröffentlichen, warnten ihn Russlandkenner. Hinweise aus politischen Kreisen, er „hätte sein Todesurteil unterzeichnet“, mehrten sich. „Auch wenn die Warnungen halb ernst, halb ironisch gemeint sind, seit wir erlebt haben, was mit Putin-Kritikern wie Litwinenko und Politkowskaja passiert ist, ist es schwer, das noch als Witz zu verstehen.“ Reitschuster wird nachdenklich. „Sicher, ich habe auch Angst.“
Die kontroverse Auseinandersetzung über sein Buch findet seinen Weg inzwischen nach Deutschland. Bei Amazon ist ein Kampf der Rezensionen entbrannt. Mehrere Einträge wenden sich entschieden gegen das Werk und seinen Autor.
Die Rezensenten sprechen von einem „Buch, das Paranoia generiert“, von einer „Aufgeregtheit der deutschen Innenpolitik“, „kaltem Kriegsgeschrei“, „bewusster Desinformation“ und „Angstmacherei“. Reitschuster suche „mit der Lupe das wohlig Schaurige“ und verbreite „Vorurteil, Propagandalügen und Schauermären“. Mit „Wühlen im Dreck, Aufkochen von Schauersüppchen und Zuweisung der Schuld an die Falschesten“ sei niemand geholfen, schreibt Snezana aus der Schweiz. „Schwarzmaler“ und „historische Fehleinschätzer“ wie Reitschuster „zeigen mit dem Finger auf Russland“ und „reden von ‚Demokratiedefiziten‘ und beschnittener Meinungsfreiheit, weil sie die Hunderte von unterschiedlichen Zeitungen, die es in Russland gibt, einfach nicht lesen können.“
„Unqualifizierter Lügner“
Der Econ-Verlag hat den Verdacht, dass diese Leserkritiken gesteuert sind. „Die Rezensionen ähneln sich nicht nur im aggressiven Tonfall, sondern teilweise auch in der Wortwahl.“ Einen Eintrag hat der Berliner Politikverlag bereits entfernen lassen. Unter dem Pseudonym „German Lover“ bezichtigt der Rezensent den Autor als unqualifizierten Lügner und beschimpft ihn als „Teufelsanbeter“. Der Anwalt von Econ hat die Äußerungen als unwahre Tatsachenbehauptungen und Schmähkritik verurteilt, durch die Reitschuster in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt werde. Amazon strich daraufhin die relevanten Passagen.
Der Vorwurf, die Einträge seien dirigiert, ist so absurd nicht. Der Geheimdienstexperte Nikita Petrow von der Nichtregierungsorganisation Memorial aus Moskau attestiert dem russischen Geheimdienst eine „gezielte Propaganda-Zusammenarbeit“ mit im Ausland lebenden Russen. „In der Sowjetzeit war dies kaum möglich, da die im Exil lebenden Russen in der Regel antisowjetisch waren. Inzwischen leben so viele Kremltreue im Ausland, dass der Geheimdienst aus dem Vollen schöpfen kann.“ Die Kremlanhänger sollen laut Petrow versuchen, die russische „Ehre“ im Ausland wiederherzustellen und positiv Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen.
Was Reitschuster bei Amazon erlebt, kennt er aus seinem russischen Alltag. Seit über zehn Jahren lebt der Journalist in Moskau und leitet seit 1999 das russische Büro des Focus. Auf der staatlichen Internetseite „Inosmi“ wird er als „Laus-Ei“ beschimpft, als „Judensau“, die „begeistert den Hintern der deutschen Bürokraten geküsst“ habe, um zu beweisen, was für ein guter Deutscher er sei. „So ein Vieh“ gehöre „umgebracht“. Das Portal ist Teil der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti und übersetzt täglich ausländische Presseberichte ins Russische.
In Russland geht die Opposition davon aus, dass die prorussischen Blogger Teil eines organisierten Apparats sind. Das Moskauer „Zentrum für Journalismus in Extremsituationen“ veröffentlichte bereits 2003 einen Bericht, in der sie die These vertrat, dass die kremltreuen Stimmen im Internet offenbar oftmals vom Geheimdienst gesteuert und regelrechte „Brigaden“ am Werk seien.
Die drei Autoren der Studie „Das virtuelle Auge des großen Bruders“ untersuchte Indizien wie Semantik, Verlauf und technische Details der Einträge. Ihr Fazit: Die Wortwahl und Stilistik der einzelnen Einträge stimmen weitgehend überein, zudem sei das Strickmuster der Kommentare meist ähnlich.
Die Verurteilung von jeder Kritik als Werk des „Feindes“, eine militarisierte, oft obszöne Sprache, die persönliche Diffamierung von Widersachern, die Anwendung von Propagandamethoden wie das sofortige Ablenken von wirklich heiklen Themen sowie Chauvinismus und eine sehr spezifische Gedankenwelt zeigten, dass die Verfasser in allen Foren identische Methoden der Beeinflussung nutzen. Der KGB, die UdSSR und Putin werden, so die Autoren, um jeden Preis verteidigt. Die „ideologische Brigade“ sei rund um die Uhr am Werk, auch liberale Einträge in den Nachtstunden würden sofort erwidert.
Foren werden längst als wichtiges meinungsbildendes Instrument erkannt. Das, was bei Amazon passiert, ist in der Werbe- und PR-Branche unter „Forum Hacking“ bekannt: Vermeintlich neutrale User äußern sich besonders begeistert über ein Produkt, in Wahrheit steckt jedoch eine beauftragte Agentur dahinter.
„Nervöser Geheimdienst“
Von der Bedeutung der Foren weiß auch der russische Geheimdienst. Deutschland scheint dabei zunehmend in den Fokus der Beobachter zu rücken. Das zeigt auch der Streit um die Ausladung des Kremlkritikers Garri Kasparow aus der Sendung „Christiansen“ und die dabei vermutete Einflussnahme des russischen Botschafters Wladimir Kotenew.
„Die Stimmung ist sehr nervös“, beobachtet Reitschuster. Bei einem Gipfel der russischen Opposition im vergangenen Herbst konnte er sich vor einem anfahrenden Fahrzeug nur noch durch einen Abroller auf die Motorhaube retten. „Vier Teilnehmer wurden von Unbekannten festgenommen, einen davon warfen die Männer auf den Boden und schlugen ihn. Auf meine Nachfrage, wer sie sind, woher sie kommen, reagierten sie nicht. Ich machte ein Foto mit dem Handy, in diesem Moment stürzten sie sich auf mich und rissen mir das Telefon weg, obwohl ich ihnen meine Akkreditierung zeigte. Ich stehe vor dem Auto, sie fahren auf mich los, ich kann gerade noch auf das Auto springen und mich abrollen lassen.“ Für Reitschuster pure Willkür. Eine Strafverfolgung erfolgte nicht. „Die Vertreter des Staates können machen, was sie wollen, und die Justiz versucht offenbar nicht einmal, sie dafür zur Rechenschaft zu ziehen.“
Auch Reitschusters Lesereise durch Deutschland wurde immer wieder von russischen Beobachtern begleitet. „Bei einer Lesung in Potsdam war ein Vertreter der russischen Botschaft anwesend, danach beschwerte sich der Botschafter Wladimir Kotenew bitter über meine Äußerungen“, erzählt der Autor. Kotenew bezeichnet kritische Ausländer schon mal als „Feinde Russlands“, in interessanter sprachlicher Analogie zum „Volksfeind“ unter Stalin.
Der ursprüngliche Plan, das Buch auch auf Russisch herauszugeben, wurde verworfen. „Zu gefährlich“ war der allgemeine Tenor. Immer wieder raten besorgte Kollegen und Freunde Reitschuster aus Sicherheitsgründen vorsichtiger zu schreiben oder Russland ganz zu verlassen. „Inzwischen laufen regelrechte Kampagnen der Desinformation und zum Teil auch üble Diskreditierung. Das tut natürlich weh.“
Besorgniserregend ist für ihn der ständig wiederkehrende Vorwurf, dass ausländische Journalisten eine Kampagne gegen Russland betreiben würden. „So äußert sich der Geheimdienstchef Nikolai Patruschew in alter KGB-Manier, dass sich ausländische Spione immer häufiger als Journalisten und Vertreter von NGOs tarnen“, schüttelt Reitschuster den Kopf. „Prominente Russen beschwerten sich in einem Brief an westliche Verleger, die ausländischen Korrespondenten betrieben eine ‚antirussische Kampagne‘ und es werde ‚gezielt Hysterie geschürt‘. Auch die Duma vermutet eine ‚Diskreditierungsaktion‘ hinter kritischen Berichten.“
Mittlerweile an die Schikanen russischer Behörden gewöhnt, lässt sich Reitschuster nicht beirren. Pläne, nach Deutschland zurückzukehren, hat er nicht. „Obwohl, man weiß ja nie, wie sich die Lage zuspitzt.“
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