: Der Mann hinter dem Mischpult
MUSIK Eduard Meyer hat in den 70er Jahren an David Bowies Berliner Alben mitgearbeitet – und hält noch heute Kontakt zu ihm
EDUARD MEYER
VON JENS UTHOFF
Beide kamen im selben Jahr nach Berlin, David und Eduard. Es war das Jahr 1976, Berlin-West eine Betonwüste; eine Insel, die irgendwo zwischen biederster Bürgerlichkeit und Prä-Punk changierte. „Ich hatte etwas Vorlauf, David kam später als ich“, sagt Eduard „Ede“ Meyer. Der gelernte Tontechniker Meyer war aus Köln nach Berlin gezogen. Hier, an der Spree, sollte seine größte Zeit anbrechen.
Denn dieser David, mit dem er hier zusammenarbeiten sollte, war David Bowie. Und Meyer, heute 70 Jahre alt, war der Mann, der an den drei Alben mitwirkte, die als Berlin-Trilogie in die Musikgeschichte eingingen – er war Bowies Mann hinter den Reglern. „Berlin war damals absolute Provinz“, sagt Meyer über die Zeit, als er in der Mauerstadt aufschlug. Er muss es wissen – er stammt aus Minden in Westfalen.
Was zur Hölle also wollten Bowie und dessen Kumpan Iggy Pop damals im piefigen Berlin? „Die hatten Probleme mit ihrem Dasein. Die waren wegen Drogenexzessen sehr ausgelaugt, sie wollten was Neues auf die Beine stellen“, erklärt Meyer. „Bowie war körperlich, geistig, menschlich tief unten.“
Der britische Popstar habe zu der Zeit weg gewollt aus seinem vorherigen Wohnort Los Angeles. „Über Edgar Froese und Kraftwerk kamen sie auf Deutschland – die sagten zu David und Iggy Pop, sie sollten es in Berlin versuchen.“ Froese ist als Mitgründer der Berliner Band Tangerine Dream genauso zu den Pionieren der elektronischen Musik zu zählen wie die Düsseldorfer Kraftwerk.
Die Berlin-Phase sei für Bowie „in irgendeiner Form lebensrettend“ gewesen, glaubt Meyer. Er ist inzwischen Rentner und lebt wieder in seiner ostwestfälischen Heimat, im Haus seiner Mutter. Zur David-Bowie-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau kehrt er für einige Tage an seine alte Wirkungsstätte zurück. Meyer sitzt am Mischpult in den noch heute existierenden Hansa Tonstudios nahe des Potsdamer Platzes. Vor sich hat er eine Mappe mit alten Fotos, Aufzeichnungen und einigen Bowie-Plattencovers. Darunter sind die Alben, die er damals an genau dieser Stelle abmischte.
„Der David kam nie hier ans Pult“, erinnert er sich, „der Eno und der Visconti – die natürlich schon.“ Damals saßen hier nebst Meyer die berühmten Produzenten und Musiker Brian Eno und Tony Visconti. Gemeinsam produzierten sie die drei Alben „Low“ (1977), „Heroes“ (1977) und „Lodger“ (1979) mit Bowie. Korrekterweise muss man dazusagen, dass nur „Heroes“ in Gänze in Berlin entstanden ist.
Meyer hat eine ruhige, angenehme Stimme. Weiße Haare, leichter Bauchansatz. Er trägt ein dunkles Jackett, mit einer Violine als Anstecknadel. Ein T-Shirt mit einer aufgemalten Krawatte lugt darunter hervor, die Krawatte besteht aus Notenzeichen und Notenlinien. Der Produzent in Ruhestand erzählt von der Herzsportgruppe, die er besucht, von seiner künstlichen Hüfte, mit der es sich gut lebt. Mit dem Berliner Rock-’n’-Roll-Dasein von einst hat sein jetziges Leben nicht viel gemein.
Meyer spielt heute in einem Symphonieorchester Cello. Damals, 1976, strich er noch selbst für den vielleicht größten Popstar der Epoche mit dem Bogen über sein Cello: Im Song „Art Decade“ ist Meyer zu hören. Der Tontechniker war aber wohl auch damals schon eher die Antithese zu Bowie und Iggy Pop. „Ich war immer schon Klassiker“, erzählt er, und meint seine künstlerische Sozialisation mit der klassischen Musik.
Meyer, der noch bis 1989 in den Hansa Tonstudios arbeitete, lernte sein Handwerk in den 70ern an der Fachhochschule Düsseldorf. In Köln arbeitete er zunächst mit Gitte Haenning und Cindy & Bert zusammen – auf die Weltstars aber traf er erst in Berlin. „Die Hansa Tonstudios waren mein Lebenswerk“, sagt er. Erst Klassik, dann deutsch-dänische Folklore, dann Bowie.
An dem Ort, wo sich noch heute – wenn auch wesentlich kleiner – jene Tonstudios befinden, war damals das Ende der Stadt. Das Haus lag im Niemandsland direkt an der Mauer, mit viel unbebauter Fläche drum herum. Das Pärchen, über das Bowie in „Heroes“, dem Berlin-Song schlechthin, singt, soll er der Legende nach knutschend an der Mauer gesichtet haben.
In dem Haus in der Köthener Straße befindet sich auch bis heute der alte Meistersaal, ein Kammermusiksaal, in dem in den 1920ern die künstlerische Avantgarde der Stadt, später in der Nazizeit die Reichsmusikkammer Veranstaltungen und Konzerte organisierte. Den Meistersaal nutzten die Hansa Tonstudios seit ihrer Gründung 1972 für Aufnahmen. In dem holzvertäfelten Raum nahmen Bowie und Meyer damals die Gesangsparts auf. Für den Briten war die Halle „The big hall by the wall“.
An den Tag, als er Bowie erstmals begegnete, erinnert sich Meyer gut. Der damals 29-jährige Musiker hatte sich nach dem Tipp aus der deutschen Szene auf den Weg zu ihm gemacht. Meyer erzählt: „Es klingelte irgendwann in meiner alten Wohnung in der Keithstraße. Da standen David Bowie und Iggy Pop. ,Ja, wir wollten dich mal besuchen‘, sagten sie. ,Kommt rein‘, sagte ich.“ Sie hätten Kaffee getrunken und sich in ein Gästebuch eingetragen, das er damals geführt hätte – Iggy mit einem „I was here“.
Während Bowie 1978 weiterzog, blieb Meyer in Berlin. In den 80ern nervte ihn der Inselstatus der Stadt. „Was mir nicht so gut gefiel, war, in den Osten zu fahren. Dort musste ich Eintritt bezahlen, und dann haben sie mir alle Tonbänder abgenommen.“
Erst nach dem Mauerfall hatte er das Gefühl, genau zu wissen, in welchem Landstrich er überhaupt lebte: „Die 90er habe ich sehr genossen, da habe ich das ganze Umland erkundet.“ Meyer sah die Entwicklung der Stadt zu dieser Zeit ambivalent: „Das war eine Stadt, die sich aufbläst wie ein Luftballon.“ Menschenmengen allerorts, überall Baustellen, Doppeldeckerbusse direkt vor seiner Haustür im Fünfminutentakt – das war dauerhaft nichts mehr für ihn. „Als ich mit Sechzig dann in Ruhestand ging, dachte ich, ich quittiere auch in Berlin meinen Dienst.“ Nachdem er noch bis zur Wende in den Tonstudios gearbeitet hatte, war er bis 2003 in anderer Funktion für die Meisel Musikverlage in Wilmersdorf tätig.
Mit Bowie schreibt sich Meyer noch heute E-Mails. Und natürlich schickte er dem „Chamäleon des Pop“ eine Nachricht, bevor er zur Ausstellung nach Berlin fuhr. „Ich habe ihm geschrieben, dass ich mich über sein Kommen freuen würde.“ Dass der Star dann nicht kam, könnte auch mit dessen Geringschätzung für die Ausstellung zu tun haben. Denn die Antwort Bowies kam prompt. Sie lautete: „Hi Ed. Good to hear from you. I hope the trip is worth it. lol. DB.“
■ Bowie in Berlin, Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, noch bis 10. August, tgl. 10 bis 20 Uhr