: Der Baader der Alten
Die engagierte ZDF-Miniserie „2030 – Aufstand der Alten“ (20.15 Uhr) zeigt, wie der demografische Wandel Deutschland umpflügen könnte. Als Spielfilm ist das gelungen. Doch die Macher wollen mehr
VON WOLF SCHMIDT
„Soylent Green ist Menschenfleisch!“, ruft Charlton Heston entsetzt, als er am Ende des gleichnamigen Science-Fiction-Klassikers entdeckt, was aus den Alten wird: Kraftfutter für den Rest der Menschheit. – Auch wenn bei „Aufstand der Alten“ keine Menschen verzehrt werden, das Thema der ZDF-„Doku-Fiction“ ist das gleiche: Was passiert in Zukunft mit alten Menschen, die für die Gesellschaft vermeintlich keinen Wert mehr haben? Werden sie irgendwann einfach entsorgt?
Anstatt die Alterung der Gesellschaft und die damit verbundenen Probleme in Zahlenkolonnen und Zwiebelgrafiken darzustellen, hat sich das ZDF entschieden, einen aufwändigen Dreiteiler zu drehen, der im Jahr 2030 spielt. Das ist lobenswert, denn nichts ist inzwischen langweiliger, als das ewig gleiche Mantra der drohenden Überalterung von den ewig gleichen Experten zu hören. Der Film von Jörg Lühdorff versucht dabei gleich zweierlei: Einerseits will er ein spannender „Demografie-Krimi“ sein. Und andererseits ein so bedrohliches wie angeblich realistisches Zukunftsszenario entwerfen. Ersteres ist gelungen. Aber ein realistischer Blick nach vorne?
Deutschland 2030 ist jedenfalls derbe düster: Eine strenge Zweiklassengesellschaft hat sich bei den Senioren etabliert. Auf der einen Seite reiche Rentner, die sich in durchgestylten Health-Centern und Luxus-Seniorenresidenzen das Leben versüßen. Auf der anderen Seite die abgehängten Alten, die in Apotheken einbrechen müssen, weil die Krankenkassen ihre Medikamente nicht mehr bezahlen. Die in alten Theatern hausen, weil die Grundrente nicht mehr für die Miete reicht, oder die in Altersheimen wie in Legebatterien gehalten und von Robotern durchgefüttert werden. Die sich massenweise das Leben nehmen, um den Angehörigen nicht auf der Tasche zu liegen, oder von altenhassenden Jugendgangs brutal niedergeschlagen werden.
„Aufstand der Alten“ ist eine der engagiertesten ZDF-Produktionen der letzten Jahre und ein erfrischender Ausbruch aus allzu heilen „Rosamunde Pilcher“-Welten. Der Dreiteiler präsentiert zudem eine neue Spielart der vom ZDF bislang vor allem für historische Stoffe („Deutschlandspiel“) bemühten „Doku-Fiction“ – wobei der Fiction-Anteil deutlich überwiegt: Die Zuschauer begleiten im Sommer 2030 die ZDF-Reporterin Lena Bach (mit ganz wunderbar futuristischem Mikro-Windschutz: Bettina Zimmermann), die einem Skandal um den Alten-Aktivisten Sven Darow (Jürgen Schornagel) auf der Spur ist. Darow ist der Robin Hood der Rentner, überfällt Banken, damit sich andere eine anständige Pflege leisten können – und wird schließlich zum Andreas Baader der Alten: Als Teil des „Kommandos Zornige Alte“ nimmt er den Chef eines ominösen Gesundheitskonzerns zur Geisel. Nach einer Explosion sterben beide.
Gegengeschnitten werden immer wieder Bilder aus Nachrichtensendungen, reale wie fiktive. Da ist Norbert Blüm zu sehen, wie er 1986 verkündet: „Die Rente ist sicher.“ Es folgen fiktive Nachrichtenschnipsel aus den Jahren 2011, 2017, 2024, die den kontinuierlichen Kollaps der Sozialversicherungssysteme zeigen. Das wahre Ausmaß des Skandals entdeckt Reporterin Bach erst am Ende ihrer Recherche: In KZ-ähnlichen Altenheimen des Pro-Life-Konzerns irgendwo in Westafrika wird outgesourcten deutschen Rentnern Grausames angetan – gedeckt von der deutschen Regierung.
Als Spielfilm ist der „Aufstand der Alten“ gelungen, er ist spannend, unterhaltend und erinnert mit seiner schockierenden Wendung tatsächlich an Science-Fiction-Klassiker wie „Soylent Green“. Doch das ZDF will mehr: Der Film soll „aufklären“, „aufrütteln“ und zeigen, „was uns erwartet, wenn der Anteil der älteren Bürger immer weiter steigt und der der jüngeren hingegen dramatisch sinkt“, sagt ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender.
Oha! Denn das schafft der Film nicht. Als Zukunftsentwurf ist „Aufstand der Alten“ von einem Alarmismus durchzogen, gegen den selbst Krieg-der-Generationen-Apologeten wie FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher milde daherkommen. Und so wird die politische Dimension des Filmes polemisch bis platt. Oder was soll man davon halten, wenn reale Beschwichtigungsreden von Ulla Schmidt, Norbert Blüm, Angela Merkel und anderen Politikern mit fiktiven Bildern aus Euthanasie-Zentren und Altenentsorge-Anstalten der Zukunft gegengeschnitten werden?
Diese Botschaft scheint dem ZDF dann doch etwas zu eindimensional gewesen zu sein. Daher wird der „Aufstand der Alten“ behutsam eingebettet in eine Schwerpunktwoche zur Demografie. Die Redaktionen von „Wiso“, „Nachtstudio“, „Frontal 21“ und „37°“ sollen für den „wahren“ Realismus sorgen. Und so bekommen die Zuschauer am Ende wohl doch noch die altbekannten Zahlenkolonnen – und natürlich auch die unvermeidlichen Zwiebelgrafiken zu sehen.
2. Teil: „Das Leben im Untergrund“, Do., 18. 1., 21 Uhr / 3. Teil „Das Geheimnis in der Wüste“ Di., 23. 1., 20.15 Uhr