ARNO FRANK über GESCHÖPFE
: Gute Geister, schlechte Geister

Günther Jauch spottet über die „Gremlins in den Gremien“ der ARD – weil er den Unterschied zu Kobolden nicht kennt

Als ich neulich Günther Jauchs bittere Beschwerde über die ARD und deren „Gremien voller Gremlins“ las, bekam ich sofort feuchte Hände. Nicht etwa, weil ich sie sofort um den faltigen Hals des TV-Moderators legen oder in Unschuld waschen wollte; beides liegt mir fern. Sondern weil Jauch mit seinen „Gremlins“ wenn auch nur knapp daneben, so doch grundfalsch liegt.

Es ist nun schon genau zwei Jahre her, da schlummerte ich zehn Kilometer über der nächtlichen Südküste von Grönland in Abrahams Schoß. Abrahams Schoß, das war in diesem Fall ein vollbesetzter Jumbo auf seinem Weg nach London. Auf dem kleinen Bildschirm vor meinem Sitz deckte Mel Gibson gerade eine Verschwörung auf. Eben noch hatte mein Sitznachbar, ein erfreulich schmal gebauter, etwa 120-jähriger Expilot der Royal Air Force, die Boeing 747 mit den Worten gelobt, sie sei „the best bird ever built“.

Jetzt war der alte Krieger sanft entschlummert und bereicherte das gedämpfte Rauschen unserer Reise mit seinem zivilen Schnarchen. Wahrscheinlich hatte er mir mit seinen Geschichten die Flugangst nehmen wollen, was aber gar nicht nötig war, im Gegenteil. Warteschleifen im Schneetreiben, das Rumpeln einklappender Fahrwerke und tückische Luftlöcher – alles schon mal da gewesen, alles schon erlebt. Und wenn es schief gehen soll, dann geht es es eben schief. Schon immer betrachte ich jene Passagiere mit Herablassung, die dem Piloten nach der Landung gerne applaudieren und „Bravo!“ rufen, als wären sie soeben auf dem Mond gelandet. Was tun die bloß, wenn’s mal wirklich ans Eingemachte, ans Abstürzen geht? „Buh!“ und „Pfui!“ rufen? Mit faulen Früchten werfen?

Diesem und anderen selbstgefälligen Gedanken nachhängend, war ich gerade dicht davor, mich auf dem weichen Kissen meiner Überheblichkeit einem Nickerchen hinzugeben, als es passierte.

Es begann, glaube ich, mit einem infernalischen Heulen. Dann sah ich das aufgeschlagene Buch, das eben noch auf meinen Knien gelegen hatte, vor meinem Gesicht schweben. Der Gurt spannte und drückte auf meine Blase, das weiß ich noch. Sogar Mel Gibson flackerte und erlosch. Schuhe, Bordmagazine, Kissen, Decken und Tabletts schwammen auf einmal in der Luft wie bizarre Fische in einem Aquarium. An der Decke baumelten die Sauerstoffmasken an ihren Schläuchen. Wie von Geisterhand wurde der schlafende Veteran neben mir langsam aus seinem Sitz gehoben. Erst als ich ihn wieder niederdrückte, geruhte er aus seinem Schlaf zu erwachen: „Oh, zero gravity! Boy, are we falling?“, fragte er und blickte sich neugierig um.

Jetzt erst gellten panische Schreie durch die Kabine, gefolgt von den noch lauteren Schreien der Flugbegleiterinnen, alles sei in Ordnung, aber das war es nicht, verdammt noch mal! Tatsächlich ertönte nun von weiter vorne das unheilvolle Gepolter schwerer Gepäckstücke, übertönt nur vom hochtourigen Jaulen der vier mächtigen Rolls-Royce-Triebwerke unter den gewaltig ausladenden Tragflächen, die dort draußen zwischen den wegwischenden Wolkenfetzen flatterten wie Taschentücher in einem Windkanal. In offiziell beglaubigter und amtlich zertifizierter Todesangst schloss ich die Augen. Ich brüllte nicht sinnlos herum. Ich fiepte nur noch hilflos vor mich hin und klapperte mit den Zähnen.

Nach einer Ewigkeit ächzte und knarzte es in der gesamten Konstruktion, ihren Nieten und Verstrebungen, als sich das gewaltige Flugzeug endlich wieder fing. Jetzt erst meldete sich der Pilot, erzählte irgendwas von Höhenwinden („They were giving our old lady a hard time!“), aber mein Sitznachbar, der Veteran, schüttelte nur seinen kahlen Kopf, in dem wohl noch immer Flieger-Gespenstergeschichten aus dem Zweiten Weltkrieg herumspukten: „Gremlins, this is so typical for gremlins …“

Jauch irrt also, wenn er vermutet, bei der ARD seien Gremlins am Werk. Gremlins hocken nicht in der ARD, sondern in Flugzeugen. Geister aber, die das Haus schützen und seine Bewohner necken, ohne Schaden anzurichten, die nennt man: Kobolde.

Fotohinweis: ARNO FRANK GESCHÖPFE Angst vor Kobolden? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN