Bildungsbericht im Bundestag zerstampft

Abgeordnete finden heraus, wieso niemand den Nationalen Bildungsbericht liest: Weil er unkritisch ist – und sein soll

BERLIN taz ■ Sie war die letzte der Gutachterinnen und sie ließ kein gutes Haar am nationalen Bericht „Bildung in Deutschland“. „Der Bericht hat diesen Titel nicht verdient“, schimpfte Renate Valtin. Die renommierte Professorin für Grundschulpädagogik an der Berliner Humboldt-Uni sagte auch, warum: Die drängenden Probleme des deutschen Bildungswesens seien dort nicht wirklich herausgestellt – außer einem. „Wir erfahren dutzendfach, dass die Migranten Probleme mit der Schule hätten. Das ist nicht falsch – aber für eine Analyse von ‚Bildung in Deutschland‘ gibt das ein schiefes Bild.“

Gestern im Bundestag: Der Bildungsausschuss hat die wichtigsten Bildungsberichterstatter eingeladen, die es derzeit zu holen gibt. Einschätzen sollen sie, ob besagter Bildungsbericht denn eine adäquate Analyse der Krise des Lehrens und Lernens vornehme. Die Bundesregierung gab das 317 Seiten lange Papier in Zusammenarbeit mit den Ländern vergangenen Sommer erstmals heraus. Die Antwort der Gutachter lautete: Gut, dass es ihn gibt – aber so geht es nicht.

Ein nationaler Bericht, so moserte die Vize der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Marianne Demmer, „muss ein ungeschminktes Bild von der Bildungssituation in Deutschland zeichnen“. Die wichtigsten Fragen aber blieben offen: Wie steht es mit der Umsetzung der Chancengleichheit? Ist das Recht auf Bildung umgesetzt? Welche Auswirkungen hat die dreigliedrige Schulstruktur auf die Zukunftsfähigkeit des Landes? Jeweils Fehlanzeige: „Wir brauchen keine kastrierte Bildungsberichterstattung“, sagte Demmer. Und Renate Valtin, Mitglied vieler internationaler Testorganisationen, ergänzte: „Die Bürger haben einen Anspruch darauf zu erfahren, wie es um die Bildung steht.“

Da sitzen Valtin, Demmer und eine Reihe von Abgeordneten möglicherweise einem Missverstännis auf. Erstens ist das Ziel des Berichts keine ungeschminkte Analyse, sondern etwas, was der Ministerialdirektor aus dem bayerischen Schulministerium, Joseph Erhard (CSU), formulierte. „Wir wollten lediglich einen Überblick schaffen“, sagte Erhard und belehrte die neben ihm sitzende GEW-Frau: „Das haben Sie vielleicht nicht verstanden, Frau Demmer.“

Zweitens ist es, falls der Bericht denn Probleme entdeckt, schon gar nicht die Aufgabe des Bundes, sie zu diskutieren oder gar selbst lösen zu wollen. Alles, was die Abgeordneten des Bundes nach der Föderalismusreform können, ist, Herrn Erhard und seinen Kollegen Wolfgang Meyer-Heesemann (SPD) aus Schleswig-Holstein freundlich einzuladen. Sobald es kritisch wird, winken die beiden starken Männer der Kultusministerkonferenz mit der Verfassung: Die Länder sind zuständig, steht da unmissverständlich drin.

Alles, was die Bundespolitiker noch sein können, ist frech. Als der Bildungsstaatsekretär Meyer-Heesemann sich wunderte, wieso bloß sich niemand für den Bericht interessierte, erklärte ihm sein Parteifreund aus dem Bund, Jörg Tauss, warum. „Das Werk ist urheberrechtlich geschützt“, zitierte Tauss den Vorspann des Berichts, jede Verwertung, Vervielfältigung etc. „ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar“.

Insofern hat sich der Souverän gestern strafbar gemacht. Denn er verteilte eine Kopie des Berichts – und diskutierte sie einfach. Dreist. CHRISTIAN FÜLLER