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Archiv-Artikel

Die Widerstandsberater

FILM Munteres Montage-Medley: „Everyday Rebellion“ von den Brüdern Arash T. und Arman T. Riahi verbindet Agitprop und Wohlfühlkino, Occupy Wall Street, die Femen-Aktionen und die grüne Revolution im Iran

So wie „Everyday Rebellion“ Widerstand auffasst, scheint es mehr um die Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu gehen, nie um die Diskussion von Politik

VON CRISTINA NORD

Srdja Popovic weiß genau, wie sich Baschar al-Assad nicht bezwingen lässt: mit militärischen Mitteln. Denn der Versuch, gegen eine Armee von 300.000 Mann anzutreten, sei in etwa so, als steige man zu Mike Tyson in den Boxring. Und wer gegen jemanden wie Mike Tyson kämpfen wolle, sei gut beraten, sich ein anderes Feld für die Konfrontation zu suchen. Wie wäre es mit Schach? Was in Damaskus, Homs und Aleppo das Pendant zum Schachspiel wäre, lässt Popovic offen. Das ist der Vorteil einer Rhetorik, die auf Analogien vertraut: Sie ist so eingängig, dass man den verflixten Widerstand der Details übersehen kann.

Srdja Popovic, ein Mann um die 40, kommt aus Belgrad. Er war Teil der Bewegung Otpor, die Ende der 90er Jahre gegen Slobodan Milosevic protestierte. Heute schult er Aktivisten aus der ganzen Welt, indem er ihnen die Werkzeuge zeitgemäßen, gewaltlosen Widerstands nahebringt. In „Everyday Rebellion“, einem Film der Wiener Brüder Arash und Arman T. Riahi, der heute Abend im Moviemento-Kino Premiere feiert, spielt er eine wichtige Rolle. In mehreren Talking-Head-Sequenzen erläutert er, wie ziviler Ungehorsam aussehen kann, welche Methoden wirksam sind und wie sich Aktivisten eine Basis in der Bevölkerung schaffen. Wenn Leute Leib und Leben riskieren, um auf der Straße zu demonstrieren, sagt Popovic, habe es Sinn, sich Protestformen auszudenken, die weniger Gefahr bedeuten: etwa das Licht in der eigenen Wohnung zu einem bestimmten Zeitpunkt an- und ausschalten oder mit zehn, fünfzehn Aktivisten in einer Nacht 300 Graffiti an vielen Orten einer Stadt sprühen. Am nächsten Morgen erweckt das den Eindruck, die Protestierenden seien viele und überall.

Popovic’ Ideen sind charmant, doch je mehr sich sein Vortrag an Kriterien wie Effizienz, Sexyness und gelungener Performance orientiert, umso weniger kann man sich des Eindrucks erwehren, es mit einem Unternehmensberater zu tun zu haben. Arash und Arman T. Riahi überlassen ihm die Rolle des Experten; er kommentiert, erläutert und ordnet ein, er ist als Autorität in Szene gesetzt. Das stiftet leichtes Unbehagen – zum einen, weil eine progressive politische Praxis den Wunsch verspüren könnte, ohne Autoritäten auszukommen, zum anderen, weil eine Autoritätsfigur im Film Ambivalenzen tilgt und dem Zuschauer die eigene gedankliche Anstrengung verwehrt.

Übertriebener Skeptizismus, mag an dieser Stelle einwenden, wer sich von „Everyday Rebellion“ lieber begeistern lässt. Denn darauf, sein Publikum mitzureißen, legt es der Film an. Er dokumentiert weniger, als dass er selbst agitiert und zum zivilen Ungehorsam anregt. Arash und Arman T. Riahi setzen auf suggestive Flüstertöne, gekonnte Peripetien und Augenblicke gesteigerter Emotionalität, sie filmen das Glück in den Gesichtern der New Yorker Demonstranten, die Wall Street für kurze Zeit besetzt halten; sie filmen die Melancholie im Blick der Femen-Aktivistin Inna Schewtschenko, nachdem sie aus Kiew geflohen ist; und sie filmen die Tränen in den Gesichtern derer, die in Den Haag einem symbolischen Tribunal gegen die Islamische Republik Iran beiwohnen. Verhandelt werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die zwischen 1981 und 1988 begangen wurden. Ein Zeuge erzählt, wie er als politischer Häftling gezwungen wurde, an der Exekution eines Häftlings mitzuwirken. Der Zeuge stockt, schluchzt, spricht unter größter Mühe, die Menschen im Saal weinen. Was die Oppression in Iran mit Femens barbusigen Aktionen und den Protesten in New York zu tun hat, bleibt offen. Dies ist nur eine von vielen analytischen Leerstellen des Films.

Im munteren Montage-Medley reihen die Regisseure die Protestbewegungen aneinander. Gleich ob Occupy Wall Street, die Asambleas von Madrid oder die von der Repression so gut wie ausgelöschte grüne Revolution in Iran, gleich ob Syrien, Ägypten oder die religionsfeindlichen Aktionen von Femen: Alles geht ineinander über, nichts wird geschieden, nach Inhalten wird gar nicht erst gefragt, die Logik des „Wir gegen sie“ genügt. So wie „Everyday Rebellion“ Widerstand auffasst, scheint es mehr um die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und das daraus resultierende Wohlgefühl zu gehen, nie um die Diskussion von Politik. Dass Widerstand auch etwas mit Begriffen, mit Analyse und Verstehen zu tun hat, gerät dabei aus dem Blick. Dass ein Scheitern nicht ausgeschlossen ist, auch.

■ „Everyday Rebellion“. Regie: Arash T. Riahi, Arman T. Riahi. Österreich/ Schweiz 2014, 118 Min., 8. Juli, 18 Uhr, Moviemento